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Oktober 2005 - Die gestorbene Nacht

Vor kaum einer unserer Rumänienfahrten gab es solche Steine zu übersteigen, wie vor der letzten. Manches erschien schon merkwürdig, was da so alles geschah. Aber, wie gesagt, es gehört der Vergangenheit an. Als wir am 13.Oktober um ein Uhr frühmorgens die Autos besteigen, einen halben Tag später als geplant, ist alles in Ordnung.

Wir lassen nicht nur Deutschland hinter uns, sondern auch alle Aufregungen der Vorbereitung. Überglücklich darüber, noch in buchstäblich letzter Minute den zweiten Kleinbus übergeben bekommen zu haben, geht es endlich los. Neun Tage liegen vor uns. Wir, das sind die sechs Personen, von denen ein Ehepaar aus Neudietendorf das erste Mal dabei ist. Die Autos sind bis zum Anschlag beladen, immer wieder in der Hoffnung, nach der Fahrt auch die rumänische Grenze problemlos passieren zu können. Eingepackt sind Medikamente, Lebensmittel, Kleidung, Schul- und Hygienematerialien, Schuhe, Lebensmittel, Werkzeuge, Spielsachen und der Glaube daran, dass unsere Arbeit vom Segen Gottes getragen ist.

So passieren wir dann auch ohne Probleme die letzte Grenze und kommen am Abend gesund im Pfarrhaus in Temeswar an. Dankbar darüber und über das gemeinsame Wiedersehen, gibt es viel zu erzählen und die nächsten Tage sind zu planen. Das Auspacken und Umverteilen der Hilfsgüter für die anderen Stationen geht mit vielen Händen schnell. Wir wissen, dass hinter jeder Süßigkeit und Konservendose, hinter jedem Bleistift, Medikament und Euro ein Mensch aus unserer Region steht, der uns in irgendeiner Art auf dieser Reise nahe ist und alles mit ermöglicht hat. Das nötigt uns Respekt ab und motiviert.

Der nächste Morgen führt uns vierzig Kilometer Richtung Osten, nach Otelec. Dieses Dorf an der serbischen Grenze hat das größte Trauma seiner Geschichte erlebt, als im April das Hochwasser kam. Zwischen den Flüssen Timis und Bega gelegen, fand das Wasser, aus den gebrochenen Dämmen der Timis kommend, keinen Abfluss mehr. An den wenigen erhaltenen Toren und Häusern sind die Wässerstände noch deutlich zu erkennen. Erst bei 1,80 m, dann über zehn Wochen lang bei 1,30 m stand es, fünfundzwanzig Kilometer weit. Nur wenige Häuser stehen noch. Dafür gibt es Zelte, wir schreiben Mitte Oktober. Was haben die Menschen in diesen Orten hinter sich! Hier hätten einige Pumpen und Hilfskräfte zum Bedienen sehr unkompliziert viel Leid verhindern können. Einige neue Häuser hat der Staat bauen lassen. Wir grüßen Leute, die im meterhohen Schlamm an ihren Fundamenten schaufeln. Im Hintergrund stehen noch eine geflieste Wand, der Badeofen mit Rohr und die Wanne. Das Magendrücken wird bei uns akut, wir schämen uns erbärmlich für unser Land und die unterlassene Hilfeleistung. Rumänien ist kein wichtiger Partner, was geht es uns an, was eintausenddreihundert Kilometer weiter passiert! Pfarrer Kovacs und die Evangelische Kirche haben eigene Spendengelder übergeben und wir besuchen diese Familien. So gut es eben geht, haben sie es angelegt. Im großen Rot-Kreuz-Zelt in der Dorfmitte waschen einige Frauen Geschirr. Private Förderer aus Rumänien finanzieren seit einigen Monaten eine Suppenküche, die von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen aus dem Dorf für die Kinder betrieben wird. Von einer Frau, die, wie die meisten Familien, ihr Haus und alles andere komplett verloren hat, erfahren wir von einer anderen Familie am Dorfrand. Sie ist ohne jede Unterstützung. Wir besuchen sie. Auch hier sind die Wassermarken bei 1,80 m am Haus zu erkennen. Nur der Vater ist mit drei von fünf kleinen Kindern zu Hause. Das Innere der Wohnung lässt alles im Hals stecken bleiben. Steigerungen von sozialem Elend gibt es immer wieder, das ist eine schmerzliche Entdeckung. Mit der Bitte, im Interesse der Kinder Ordnung zu schaffen, verabschieden wir uns und besprechen weiteres mit der Nachbarin aus der Suppenküche. Bei Pfarrer Kovacs lassen wir Geld für Lebensmittel im Winter und bitten sie, für die Familie einzukaufen. Nur ein sehr kleiner Beitrag, aber wir wollten den im Dorf leisten.

In Temeswar geht es weiter zu einigen Besuchen. Frau Kovacs, seit über zwanzig Jahren an Kinderlähmung erkrankt, kennen wir schon gut. Sie war vor drei Wochen gefallen und hat um einen Nachtstuhl gebeten. Wir besuchen sie mit solch einem Stuhl und erschrecken über ihre körperliche Verfassung. Sie hat sich nicht mehr gewagt, zu essen und zu trinken. Der Gang zur Toilette war allein nicht möglich und die Nachbarin, die selber krank ist, kann nur einmal am Tag kommen. Gleich probiert sie es, aus dem Bett auf den Stuhl und wieder zurück, es funktioniert. Am Abend  ruft sie noch einmal an, bedankt sich, dass ein neues Leben für sie begonnen hat - mit diesem Stuhl. Ihr Strahlen klingt selbst durchs Telefon. Weitere Besuche unterstreichen die Notwendigkeit der Hilfen, die die Kirchgemeinde im Dienst an alten und kranken Gemeindegliedern aufbringt. Eine große Hilfe ist die eingerichtete Diakoniekasse, in die auch ein Teil unserer Spendengelder nach dem Sonntagsgottesdienst einfließen.

Dieser Gottesdienst, das anschließende Treffen bei Kaffe und Kuchen mit der Gemeinde und dem Presbyterium, aber auch das Bibelquiz mit den Jugendlichen am Vortag sind Bausteine einer gewachsenen Partnerschaft. Da geht es um mehr als um Hilfsgüter. Das Interesse an der Arbeit und dem Ergehen des Anderen, der Meinungsaustausch und das gemeinsame Gebet, die Arbeitschwerpunkte und Aufgaben beider Gemeinden, es stärkt auf dem Weg zum Nächsten und im Vertrauen darauf, im Leben nicht alles allein meistern zu müssen. Das Gehalt für die Sekretärin und für die Beinoperation des vierjährigen Sohnes des Pfarrers wird noch dankbar in Empfang genommen. Hinter allem und vielem mehr steht eine Geschichte. Wir fahren weiter.

Lugoj, Deva, Hunedoara, die bekannte Strecke, trotzdem gilt es aufzupassen. Neben der seit zwei Jahren im Bau befindlichen Straße geht es immer noch einen Meter steil abwärts. Tiefe Schlaglöcher, entstehende Gewerbegebiete, Pferdewagen auf Fernverkehrsstraßen, die Leute vor den Häusern und die von den Sonntagsgottesdiensten Heimkehrenden, alles versuchen wir aufzunehmen. Vieles sieht hier so anders aus. Was sich hinter den Fassaden verbirgt, wissen wir auch nicht. Einiges werden wir noch kennen lernen.

Mit diesen Gedanken kommen wir bei unseren Freunden in Racastia an, dem Dorf hinter dem Hunyaden-Castel von Hunedoara. Alle sind zu Hause und wir werden erwartet. Familie Budai hat nun auch Küche und Bad renoviert und die Freude darüber teilen wir gern mit ihnen. Beim ausgiebigen Essen berichten sie von der Arbeit. Adriana arbeitet zurzeit täglich achtzehn Stunden als Chefin der Qualitätskontrolle einer großen deutsch-rumänischen Firma in Hunedoara. Das steht ihr ins Gesicht geschrieben. Andreis Tag als Direktor eines Fuhrbetriebes ist nicht viel kürzer. Sie sind dankbar für das zu Hause Erreichte. Es ist nicht wieder zu erkennen. Aber der Preis ist hoch und die laufenden Kredite auch noch.

Bei Familie Filip sind die Kinder größer geworden. Die beiden Jungen haben, wie der Vater schon seit Jahren, keine Arbeit. Gelegenheitsjobs, egal welche, werden alle angenommen. Dringende Herzuntersuchungen der Mutter können nicht mehr bezahlt werden und die beiden Sportanzüge für die Mädchen zum Schulbeginn sind ebenfalls auf Kredit gekauft. Sieben Personen ohne jedes Einkommen zu ernähren und die Nebenkosten für Strom, Holz und Gas zu bezahlen - ohne fremde Hilfe ist das einfach nicht möglich. Das lesen wir aus den Tränen der Mutter beim Erzählen.

Noch am Abend wird der Schulbesuch für den nächsten Tag mit dem Packen der Kindertüten vorbereitet. Bis in den nächsten Morgen hinein wird erzählt. Die Zeit ist immer zu kurz.

Pünktlich zehn Uhr werden wir in der Schule und dem Kindergarten erwartet. Nach einer kurzen Kinderandacht freuen sich alle auf und über die Tüten bzw. deren Inhalt. Süßigkeiten sind für die meisten Kinder immer noch eine Seltenheit. Viele ernähren sich von dem, was in den kleinen Gärten wächst. Nur wenige Eltern im Dorf haben Arbeit. Im Gespräch mit der Lehrerin und der Kindergärtnerin erfahren wir mehr darüber. Nicht nur der Kaffee sondern auch der Kindergartenraum ist kalt, denn Holz gab es noch nicht. Arbeitshefte für Kunst und Mathe müssen kopiert werden, es sind geforderte, aber für die meisten unbezahlbare Materialien. Dafür können wir das nötige Geld übergeben. Die ohnehin desolate Eingangstür ist nach einem Einbruch vom Sommer nicht mehr zu reparieren. Deshalb ist es seit Tagen noch kälter in den Räumen, nachts gab es bereits Frost. Glücklicherweise war der Computer, als Grund für den Einbruch im Sommer, anderswo sichergestellt. Am Nachmittag treffen wir uns mit einem Tischler aus dem Ort und verabreden die Summe für eine neue Tür. Die Zeit drängt, denn es wird kälter.

Ein Besuch steht jetzt auf dem Programm. Der Pfarrer des Ortes hat unser Auto gesehen und uns eingeladen. Wir treffen das junge Ehepaar zu Hause an. In zwei Monaten wird das erste Kind erwartet. Beide sind Ungarn und seit einem Jahr hier im Dorf. Mit diakonischer Arbeit haben sie begonnen. Nachmittage für Kinder und alte Leute organisieren sie, Abende für die Jugendlichen, für eine neue Küsterfamilie bauen sie ein Haus aus und besuchen die Familien zu Hause. Sie erzählen, dass sie sich nach Abschluss der Studienzeit, die Frau ist ausgebildete Sozialpädagogin, bewusst für dieses Dorf entschieden haben. Für uns geht ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Die Resultate werden wir in einiger Zeit erleben können. An vielen Stellen müssen beide neu beginnen. Sie gehen es mit viel Mut an, das spüren wir.

Bevor wir abfahren gibt es noch einen Termin am Rand des Dorfes. Wir sind schon sehr gespannt, denn einiges haben wir von unseren Freunden über die Familie Karacsoni gehört. Es ist die ungarische Roma-Familie, die in der primitiven Hütte dort oben hinter dem Dorf lebt. Mit strahlendem Lächeln werden wir empfangen. Schon vom Weiten sehen wir eine Veränderung. Neben besagter Hütte ist etwas Neues entstanden. Ein kleines Haus, fast rohbaufertig, ist gewachsen. Nicht nur die Kinder strahlen, sondern heute auch die Eltern und wir mit ihnen. Stolz zeigen sie uns das und erzählen von seiner Arbeit, natürlich ohne Arbeitskarte. Vor einem Jahr haben wir Geld für den Notarsvertrag zum Grunderwerb hinterlegt. Nun ist das kleine Haus gewachsen und ein Zaun aus alten Betonteilen umgrenzt das Grundstück zumindest teilweise. Hier ist mehr geschehen, als nur ein kleines Haus entstanden, hier haben sich Menschen verändert. Der größere Sohn geht das erste Jahr zur Schule und hat dort die schönste Handschrift. Die anderen Kinder besuchen regelmäßig den Kindergarten und zeigen dort ein hochanständiges und bescheidenes Auftreten. Wer jemals mit Romas zu tun hatte, kann ein wenig einschätzen, was das bedeutet. Vor einem Jahr waren nicht nur Hütte und Gesichter schwarz, sondern das ganze Leben. Heute scheint nicht nur die Sonne und die Gesichter sind sauber, sondern notwendige Veränderungen für das Leben sind geschehen, die niemand „machen“ kann. Es ist hell geworden und wir sind darüber mit ihnen glücklich. Für die Fertigstellung des Hauses lassen wir Geld bei unseren Freunden und bis zum Winter will der Vater alles fertig haben. Solche Erfahrungen lassen sich, wie so vieles, nur mühsam beschreiben. Sie müssen miterlebt werden, um sie ein wenig zu verstehen. Dankbar verabschieden wir uns gegenseitig. In der Schule wird der Vater noch einige Reparaturen machen, versichert er uns ungefragt. Das ist für uns ein „Sahnehäubchen“, hier bei der Roma- Familie in Racastia.

Autos packen und weiterfahren, Balanu wartet und die Zeit drängt immer. Gegen sechs Uhr abends kommen wir an, mit uns Alexandru und sein Sohn Cosmin aus der Filip-Familie. Oft war der Vater dort und hat in der Kinderspeisung mitgeholfen, als sich Cristina und Margareta aus Balanu im Spreewald zur Gurkenernte aufgehalten haben. Vor sechs Wochen waren sie erst wieder nach Hause gekommen, nachdem sie uns in Deutschland noch einige Tage besucht hatten. Auf viele Dinge waren wir neugierig, die Erstreisenden auf Balanu überhaupt, denn in diesem Ort geht das Leben ein wenig anders, als es unser Vorstellungsvermögen zu fassen vermag. Haben sie mit dem Hausbau begonnen, was ist mit den Kindern im Dorf, was mit der Kinderspeisung und dem Kindergarten? Viele Fragen gehen uns im Kopf herum, bis wir das letzte holprige Stück vor dem Dorf erreichen. Noch schmaler ist der Weg geworden, es hat geregnet und an manchen Stellen ist  für unsere beiden Kleinbusse nicht mehr viel Platz bis zum steilen Abhang zum Fluss.

Aber alles geht gut und wir erreichen die Hofeinfahrt. Viel enger ist es auch an der Stelle geworden und alle, die schon einmal da waren, kommen aus dem Staunen nicht heraus. Nachdem beide Busse mühsam hin und her und hinein dirigiert waren, müssen wir uns das genauer ansehen. Nur wenige Sekunden brauchen wir, um alles zu erfassen. Das, was vor zehn Monaten bei uns zu Hause auf dem Papier entstand - hier ist es Realität geworden. Die Fundamente für das neue Haus sind fertig. Klar ist, wo die neue Küche, der Raum für die Kinderspeisung, das Arzt- oder Gästezimmer und wo die neuen Bäder und Toiletten entstehen werden. In sechs Wochen war es entstanden, mehr als einen Meter in der Erde und das ganze noch einmal über dem Boden. Die Grundstücke sind vermessen, die Grenze verläuft durch den Brunnen. So haben beide Partner etwas davon, kann es besser laufen? Wohl kaum, wer Balanu kennt, weiß wovon die Rede ist und was das alles bedeutet.

Die Autos werden ausgepackt und die kleine Kirche ist wieder brechend voll mit Koffern und Kartons. Alles wird in den nächsten Tagen seinen Platz finden. Wir freuen uns über das Wiedersehen, versuchen im Gespräch miteinander die Gedanken zu sortieren und einiges für die nächsten Tage zu besprechen. Am Morgen geht es in den Kindergarten und in die Schule. Eine neue Kindergärtnerin begrüßt uns. Seit fünfundzwanzig Jahren ist sie in diesem Beruf und deutlich ist der Unterschied zur Vorgängerin. Die Gestaltung des Raumes spricht von der Nutzung der Materialien vom Frühjahr, schön sieht es jetzt aus. Schokolade vertreibt die Angst vor Bärten und nach kurzer Zeit sind wir alle Freunde und die Kinder singen ein Lied davon, was jeder zu Hause zu tun hat.

Auch die Schulkinder erwarten uns nebenan und bedanken sich mit Basteleien bei den Kindern zu Hause für die übermittelten Grüße. Stolz zeigen sie ihre Hefte und erzählen von dem Gelernten. Lehrer Valeri und die Kindergärtnerin freuen sich über die Schul- und Bastelmaterialien, den Ball, und die Spielsachen. Die Dankesgrüße von ihnen wie von allen anderen geben wir gern weiter.

Auf dem Rückweg machen wir einen Besuch bei Iosif, dem Viertklässler. Nach einem Autounfall liegt er mit geschraubtem Oberschenkel, eingegipst bis zum Nabel, in dem einen Zimmer des kleinen Hauses. In zwei Wochen kommt der Gips ab, dann sehen sie, wie das Resultat ist. Draußen regnet es und es ist einfach alles andere als gemütlich auf dem völlig durchnässten und schlammigen Weg.

Zu Hause werden die Sachen umgepackt und verteilt. Der andere Teil der Gruppe hat nach mehreren Anläufen in der Stadt Gas bekommen und mit Cristina verschiedenes eingekauft. Bei den meisten von uns macht sich eine Erkältung breit. Aus den mit Holz überheizten Räumen hinaus in die Kälte und zurück, wir sind es nicht gewohnt. Medikamente werden ausgepackt, sortiert und beschriftet, nicht für uns, sondern für alle Bewohner von Balanu, hauptsächlich für die Kinder. Sie sind im Winter genauso wichtig wie die Lebensmittel, warmen Jacken und die Winterschuhe. Kaufen kann sie kaum jemand aus Balanu, aber krank sind gerade im Winter die meisten.

Am Abend steht ein Termin mit dem Bürgermeister an. Zu diesem Schritt haben wir uns nach anfänglichem Zögern doch entschlossen. Nach Dienstschluss sollen wir ihn zu Hause besuchen. Dann hat er Zeit und kann sagen, was er im Amt nicht hätte sagen können. Einiges hat er in dieser Zeit bewegt. Der Müll wird wöchentlich abgeholt und er ist dabei, Balanu und die Region in ein Förderprogramm zu integrieren. Das würde vieles bedeuten. Wenn die Hälfte davon Realität wird, wird sich auch in Balanu einiges ändern. Uns liegt die soziale Situation auf dem Herzen. Nach wie vor steht das große massive Haus der Wasserwirtschaft ungenutzt vor dem Dorf. Darüber reden wir wieder, wie schon im Frühjahr. Am Ende des Gesprächs erklärt er sich bereit, das Grundstück kostenlos zu überlassen und einen Termin mit der Wasserwirtschaft für den nächsten Tag zu vereinbaren. Er hatte schon auf uns gewartet, erzählt er uns im Gehen. So weiß er, dass das Treffen mit ihm im Frühjahr keine Formalität war. Sehr erleichtert fahren wir nach Hause (immer wieder sagen wir „nach Hause“, denn wir sind es hier wirklich!).

Mit den Kindern der Familien wird ein wenig gespielt, der Umgang mit einem Laptop der ersten Generation dem Sohn von Cristina erklärt und über dies und das gesprochen, bevor wir übermüdet in die Kissen sinken. Vieles geht noch in den Gedanken spazieren, wie in und zwischen den Hütten das Leben eigentlich funktioniert, mal abgesehen von Krankheiten und anderen Zwischenfällen. Dankbar sind wir für alle Aufgeschlossenheit und Freundschaft, für das gute Essen und die vielen freundlichen

Augen-Blicke in dieser so anderen Welt als der unseren. An die Hürden und Mühen der Vorbereitungen denkt niemand mehr, es geht nur vorwärts, und das ist wichtig. Viele Gesichter strahlen und Menschen haben Hoffnungen gewonnen. Das ist bei den Begegnungen zu erleben, mit allen Schwierigkeiten.

Der nächste Morgen beginnt kalt, nicht nur mit dem Brunnenwasser im Hof. Die Autoscheiben sind dick zugefroren. Alle Reserven persönlicher Bekleidung werden mobilisiert und kurzzeitig durch Hilfsgüter ergänzt. Aber weit oben in den Bergen werden Felsen und herrlich bunt gefärbtes Herbstlaub von der Sonne beschienen. Es verspricht, ein sonniger Tag zu werden. Und das wird es.

Ein Teil der Gruppe nutzt das Wetter zu einem Ausflug in die Berge zur Staumauer, während zu Hause die Finanzen geordnet werden. Kinderspeisung, Baumaterialien, Ausbildungsförderungen werden abgerechnet und neu geplant. Alles ist belegt, quittiert und geordnet, das beruhigt auf beiden Seiten. Ohne gegenseitiges Vertrauen funktioniert nichts, das wissen wir alle. Gern übergeben wir Geld für diese Bestimmungen. Es geht wieder ein Stück weiter mit der Kinderspeisung, mit der Schule und dem Internat für Andrei, Hannelore und einem Geschwisterpaar, Baumaterial kann gekauft werden, im Winter ist das rentabler. Am Nachmittag sind der Kindergottesdienst und ein gemeinsames Essen geplant. Einige Kinder erscheinen pünktlich eine Stunde vorher, denn einhundertzwanzig Klöße sind zu formen. Das macht schon Spaß und stolz präsentieren sich alle zum Fotografieren. Auch Gulasch wird aufs Feuer gesetzt während der Gottesdienst beginnt.

Nach dem Händewaschen vor der kleinen Kirche füllt sich diese schnell. Viele Kinder, Jugendliche, junge Mütter, die kleine taubstumme Oma und der geistig behinderte Kuhhirte kommen. Alle Plätze sind belegt, einige müssen stehen. Das Singen steckt an und wer es das erste Mal hört, bekommt spätestens jetzt die erste Gänsehaut. „Schätze in Balanu“ ist das Thema und große Augen wundern sich anfangs beim Fragen nach solchen. Als dann klar wird, dass jede und jeder selbst ein solcher Schatz ist, nach dem unser Herr auch hier in Balanu Ausschau hält und sucht, verstehen selbst die Kinder schnell, was gemeint ist. Sie sind die Zukunft in diesem Dorf. In aller Abgeschiedenheit und in katastrophalem sozialen Umfeld ist dieses Dorf alles andere als von Gott verlassen und vergessen. Viele Begebenheiten der letzten drei Jahre haben das erkennen lassen. Manches braucht eine helfende Hand oder einen geöffneten Geldbeutel. Alles und alle brauchen das Vertrauen und den Glauben, dass es eine helfende Hand gibt, die sich aber auch anderer Herzen, Hände, Füße und auch Geldbeutel bedient. Wir erleben hier einen Segen, der sich einfach nur erleben lässt und vor dem alle Worte verstummen.

Noch beim Austeilen der Klöße und des Gulaschs, dem „Besten, was wir jemals in unserem Leben gegessen haben“, kommt der Bürgermeister ins Dorf. Natürlich müssen wir erst fertig austeilen, bis wir mit ihm zu besagtem Gebäude vor dem Dorf abziehen. Dort wartet die rechte Hand des Direktors der Wasserwirtschaft gespannt auf unsere Pläne mit dem Haus. Ob wir als private Personen gekommen sind, will er wissen. „Natürlich, aber nur für die Grenze!“, sagen wir. Er weiß, was wir meinen. „Nein, natürlich nicht als Privatpersonen!“, erklären wir weiter, „sondern im Auftrag vieler Interessierter in und außerhalb unserer Kirchgemeinden“. Was wir wollen? Eine Perspektive für die Bewohner von Balanu, sozial abgesichert, unter normalen hygienischen und anderen Lebensbedingungen, anders als bisher und die Absicherung von schulischer und beruflicher Bildung für alle, die daran interessiert sind. So versuchen wir zusammenzufassen. Dazu soll das Haus vor dem Dorf einen Schritt weiter helfen, durch die Möglichkeit von Viehhaltung oder der Einrichtung einer kleinen Holzbe- und -verarbeitung. Wo Möglichkeiten sind, werden sie genutzt, doch ohne ein Dach dafür zu haben, wird es nicht funktionieren. Nach einer halben Stunde ist er überzeugt, dass wir es ehrlich meinen. Ohne Profit für eine Familie allein, das ist seine Bedingung. Wir erzählen davon, was Cristina und ihre Familie seit Jahren ohne Profit, dafür aber mit vollem Einsatz für das Dorf leistet. Der Bürgermeister bestätigt es und sagt uns zu, so bald wie möglich die Verträge vorzubereiten. Das war schon eine Begegnung zwischen Klößen und Gulasch! Wir können es noch nicht ganz begreifen, dass uns ein Haus mit Grundstück kostenlos versprochen wurde, mit der weiteren Zusage, alles zur Unterschrift zu bringen. Noch vor gut einem Jahr sollte das Haus abgerissen und die einzelnen Steine an uns verkauft werden. Es ist ein Versuch.

Im Dorf bringen wir dem kranken Iosif und seiner Familie einen Topf mit Klößen und Gulasch. Langsam wird es dämmerig und wir wollen mit einigen Kindern noch einen Spaziergang zur Quelle im Wald machen. Was für uns ein anstrengender Aufstieg ist, ist für die Dorfbewohner im Winter der Weg zum Feuerholz. Natürlich müssen sie vorher dafür zahlen. Von dort oben soll einmal die Wasserleitung kommen, viele Meter sind schon durch den Wald hindurch gegraben worden. Keiner von uns wollte dabei gewesen sein. Den letzten unfallfrei passierten Steilhang hinter uns lassend, erreichen wir wieder die Schule.

Es ist dunkel geworden. Für die Kinder zünden wir Kerzen an und erklären ihnen, dass sie es sind, die das Licht ins Dorf tragen. Wir wissen dabei, es ist mehr als ein Symbol. Laut singend ziehen sie ins Dorf, wir überall zwischen und mit ihnen. Einige Leute kommen gerade über den Fluss nach Hause zurück. Eine Frau fragt im Vorübergehen, ob denn jemand gestorben sei. Die Antwort kommt vom vierjährigen Catalin: „Die Nacht ist gestorben!“ Wir alle sehen uns an und fragen noch einmal nach. „Die Nacht ist gestorben!“, jawohl, er, der kleine Catalin mit seinen vier Jahren hat das eben gesagt.

Einig sind wir uns hier alle - das war mehr als die Antwort eines Vierjährigen. Er konnte die Tragweite seiner Worte nicht verstehen. Aber sie stehen als Antwort für viele Fragen um die Zukunft der Bewohner von Balanu, sie stehen als Antwort an unserem letzten Abend und sie stehen als Antwort für unsere Arbeit in Rumänien. Die Nacht ist gestorben - das bedeutet, dass ein neuer Morgen anbricht, weil Menschen es gewagt haben, Lichtträger zu sein. Dieses Licht hat andere Lichter angezündet und viele haben dabei geholfen. Diese Antwort und vieles Erlebte bewegen uns bis heute. Dankbar gehen wir an diesem letzten Abend in Balanu schlafen.

Der nächste Morgen beginnt wieder mit Eiskratzen, denn wir müssen zurück, leider. Zuerst nach Racastia, um Alexandru und Cosmin abzuliefern. Für die Kinder der Roma-Familie haben sie noch Kleidung herausgesucht. Dann folgt die Verabschiedung, es fällt schon schwer.

Zurück in Temeswar, werden wir wieder von Freunden und den Vorzügen von Badewanne und WC erwartet. Vieles wird beim letzten Essen und weit darüber hinaus erzählt. Der Morgen bringt die nächste Verabschiedung und nach achtzehn Stunden Fahrt taucht zu Hause auch der letzte, verloren geglaubte Haustürschlüssel überraschend auf.

Unser Urlaub ist vorüber. Nur mühsam treten wir die nächsten Tage herum und versuchen in unserer Welt klar zu kommen. Wir haben Freunde besucht und einen Auftrag erfüllt, so gut wir konnten. Wir taten es, weil uns viele Interessierte, Bekannte und Freunde vertrauten, als sie uns ihre persönlichen oder firmeneigenen Sach- und Geldspenden mit auf den Weg gaben. Alles ist nur dadurch möglich geworden. Wieder ist für Menschen ein Stück „Nacht gestorben“. Wie es denn war, wollen viele wissen. Es fällt schwer, Worte zu finden. Deshalb sagen wir Ihnen und Euch allen auf diesem Weg den Dank weiter, der uns mitgegeben wurde. Wir sagen Ihnen und Euch aber auch unseren Dank, denn solche Tage erleben zu dürfen, ist für uns das schönste Geschenk.

Die Nacht ist gestorben - das gilt auch uns in Deutschland. Dass es bei unseren Freunden weiter heller wird, liegt mit großer Sicherheit auch noch weiterhin ein Stück an uns. Dazu wollen wir wieder herzlich einladen. So Gott will, werden wir im nächsten Frühling wieder mit gepackten Autos starten.

 

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