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Matth 14, 16




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Oktober 2009 - Tasten – fassen – loslassen

„Schön, dass ihr wieder da seid!“, so begrüßen uns unsere Angehörigen und Freunde zu Hause. Genau so herzlich und aufrichtig wurden wir in den vergangenen Tagen immer wieder in Rumänien begrüßt. Hinter uns liegt eine Fahrt mit vielen Eindrücken und vor uns der mühsame Versuch, Ihnen und allen denen darüber zu berichten, die uns unterstützt und geholfen haben. Wer uns kennt weiß, wie schwer uns die Antwort auf die Frage „Wie war´s denn?“ fällt.

„Alles hat prima geklappt.“, kommt dann meistens erst mal ziemlich kurz. Aber es ist vieles passiert, was einfach nicht so schnell zu erzählen ist, wenn überhaupt. Gesegnet war die Fahrt, das spürt jede und jeder der dabei war, und zwar von den Vorbereitungen bis zur behüteten Ankunft wieder zu Hause.

Eine solche Fahrt beginnt nicht erst mit dem Tag der Abfahrt, insbesondere die gerade abgeschlossene nicht, sondern es ist so, wie es eine Journalistin beschrieb: „Nach der Fahrt ist vor der Fahrt.“ Das traf besonders auf die letzte zu. Wer das volle Lager oder den großen LKW in Ingersleben gesehen hat, der wenige Tage vor der Fahrt beladen wurde, weiß wie viel 80 Kubikmeter Ladung sind. Schränke, Tische, 70 Stühle, Betten und Matratzen, 18 Zimmertüren, 75 Quadratmeter Fliesen, Lagerregale, Weichfaserplatten und Laminat, 12 Fahrräder, endlose Stapel Kartons und Kisten, Autoreifen, Geschirr, Installationsmaterialien, eine halbe Augenarztpraxis, Werkzeuge, Duschbecken und natürlich Schulartikel, Kleidung, Schuhe, Lebensmittel, Medikamente, Süßigkeiten und Spielzeuge für Weihnachten…Die Aufzählung der Hilfsgüter ließe sich weiter fortsetzen.

Aber damit alles verpackt und vorbereitet werden konnte, haben viele Menschen überlegt, sind losgelaufen, haben besorgt, telefoniert, gebracht, gespendet, berichtet und entschieden, denen zu helfen, von denen wir erzählt haben. Jede dieser Entscheidung war Voraussetzung, dass alles vorbereitet und dann verladen werden konnte. Oft erleben wir in Gesprächen, wie solche Entscheidungen reifen und getroffen werden. Für dieses Vertrauen danken wir von Herzen.

Immer wieder stehen uns die Menschen vor Augen, die wir unterstützen und deren Situationen, auch wenn sie noch 1500 km entfernt sind. Wir begnügen uns nicht damit, dass wir in warmen Zimmern wohnen und um die zugigen Hütten der anderen wissen. Es genügt uns nicht, jeden Tag zu essen zu haben, während andere nicht wissen, wie sie von 100 Euro und weniger einen Monat lang überleben sollen, bei gleichen und höheren Preisen wie bei uns. Wir teilen und wir lassen andere Anteil haben an dem, was uns gegeben ist. Und wir sind dankbar, dass viele Menschen gleiches tun und uns dabei unterstützen. Deshalb murrt niemand, dass die Beladung des LKW zu Hause bis morgens um 2.30 Uhr dauert, während das Thermometer unter die Nullgradgrenze gerutscht ist. Der Stress der Vorbereitung und das bange Hoffen, dass auch alles untergebracht wird, weicht der Freude, als das letzte Fahrrad verschwindet und die letzten Stühle verkeilt sind. Fast im Morgengrauen fährt der LKW ab, die Geduld der Fahrer beim Laden hat uns begeistert. Am nächsten Tag wird der Transporter geladen, letzte Telefonate nach Rumänien geführt, Papiere geordnet und die Kassen vorbereitet. Dann staunen wir über den vielen Platz zu Hause. Wenige Stunden Schlaf bleiben bis zur Abfahrt am Donnerstag, dem 15. Oktober, wir starten zu fünft um 4.00 Uhr morgens.

Es regnet und das ändert sich vorläufig auch nicht. In Österreich mischt sich Schnee dazu und die Berge begrüßen uns mit weißem Belag. Unser LKW wird am Sonntagabend direkt nach Balanu fahren, wir können etwas Ruhe genießen. Ohne Schwierigkeiten lassen wir die Grenzen hinter uns und erreichen das Pfarrhaus in Temeswar. Wieder kommen wir bewahrt an und sind dankbar dafür.

Familie Kovacs begrüßt uns herzlich, sind wir doch schon lange gute Freunde, unser Erstreisender ist es auch bald. Noch im Frühjahr haben wir hier die leer geräumte Wohnung in eine Baustelle verwandelt. Man konnte vor Staub von den aufgeschlitzten Wänden für die Elektroleitungen nichts mehr erkennen. Stolz präsentiert uns der Pfarrer die neue Wohnung, sie ist nicht wieder zu erkennen. Die Eingangstüren und Fensterflügel sind noch in Bearbeitung. Viele Farbschichten sind schon entfernt und die Frau des Hauses ist mit dem davon entzündeten Ellenbogengelenk in ärztlicher Behandlung. Die Neugestaltung der Wohnräume sprechen von Ideenvielfalt und Stil. Wir freuen uns mit ihnen über das Geschaffene.

In Temeswar steht uns dieses Mal mehr Zeit zur Verfügung. Wir besichtigen die Stadt, erledigen kleine Einkäufe, schlendern über den Markt. Verändert hat sich wenig. Die Läden sind voll mit Waren, die Körbe der Käufer nicht so sehr. Gemüse wird meist auf dem Markt gekauft, dort ist es frischer und billiger. Wir freuen uns über einheimische Weintrauben und besorgen Blumen. Nach dem Mittagessen steht der Besuch einer Kindertageseinrichtung an.

Mihaela und ihren Kollegen Radu kennen wir, sie arbeitet als Sozialpädagogin und er als Psychologe in dieser Einrichtung. Beide waren mit uns schon in Balanu und haben dort ein Kinderseminar gehalten. Uns interessiert wie die Einrichtung arbeitet, welche Unterstützungen staatliche oder kommunale Stellen bieten, wie hier Kinder aus sozial schwierigen Umständen gefördert und betreut werden. Wir nehmen vieles auf und sprechen über Varianten, ähnliches eines Tages in Balanu umzusetzen. Es ist ein Herantasten an Möglichkeiten. Gedanken nehmen Strukturen an, es wachsen in uns Bilder, wir suchen nach Umsetzbarem. Diesen Weg versuchen wir seit nun elf Jahren bewusst zu gehen. Es genügt uns nicht, nur durch „Transporte“ zu helfen. Mihaela und Radu kennen die Situation in Balanu und verstehen unser Anliegen, sie wollen uns helfen. Ein neuer gemeinnütziger Verein wäre notwendig, der einmal Träger sozialer Arbeit sein könnte. Das ist das Ergebnis dieses Besuches. Die Kinder, die in diesem Zentrum betreut werden, freuen sich über unseren Besuch und zeigen uns ihre Herbstbasteleien. Das Auspacken mitgebrachter Süßigkeiten überlassen wir ihnen allein. Die Mitarbeiter stellen uns die Räumlichkeiten vor und erklären dabei die baulichen und hygienischen Forderungen zum Betrieb einer solchen Einrichtung. Wir stellen fest, dass wir die wesentlichen Kriterien beim Bau des Dorfgemeinschaftshauses in Balanu berücksichtigt und erfüllt haben. Der dicke Ordner mit allen Genehmigungen zum Erteilen der Betriebserlaubnis einer solchen Tagesstätte erschreckt uns allerdings, doch in Gedanken sehen wir schon die erteilte Genehmigung. Viel Segen haben wir bereits erlebt und dabei erfahren, wie Unmögliches möglich wurde, wenn es im Glauben begonnen und angefasst wurde. Die Köpfe rauchen und wir lassen sie an frischer Luft abkühlen. Radu bekommt für die Kinder noch einige Bastelkästen und wir verabschieden uns.

Familie Csiki erwartet uns und wir den Besuch bei ihnen. Die kleine Anamaria liegt uns am Herzen. Am Rand der Stadt lebt sie unter schwierigen Verhältnissen. So etwas ist einfach gesagt, wer die Situation einmal erlebt hat, ahnt einiges. Die Großmutter kümmert sich so gut sie kann, aber ihre Gesundheit setzt Grenzen. Die behinderte Mutter ist mehr als überfordert und hat mehr mit sich zu tun. Das häusliche Umfeld der alten Hütte ohne Wasser und Strom bietet der Kleinen keine Zukunft, insbesondere wenn für sie im nächsten Jahr die Schule beginnt. Wir sehen seit einem halben Jahr nur noch die Möglichkeit einer Kindereinrichtung für das Mädchen. Frau Kovacs, die Pastorin dieses eingemeindeten Dorfes, führte schon erste Gespräche, die sich allerdings als sehr problematisch erwiesen. Die Notwendigkeit ist klar, aber der Schritt scheint unmöglich, wir wollen es erneut versuchen. Anamaria wird erst von der Urgroßmutter geholt, dort genießt sie den Luxus der elektrischen Beleuchtung und des Kinderfernsehens.

Sie rennt durch den Garten geradewegs in unsere Arme und fängt sofort mit dem Erzählen an. Als erstes muss sie uns zeigen, wie sie mit dem Fahrrad fahren kann. Nach dem Frühjahrsbesuch, der ihr zu einem Rad verhalf, hat sie es allein gelernt, berichtet sie stolz. Dann müssen wir uns unbedingt die neue Zimmerdecke ansehen. Sie zieht uns förmlich ins Haus hinein und zeigt uns die Holzdecke. Man hat sich auf unseren Besuch vorbereitet, das Zimmer ist frisch gekalkt, eine Holzdecke eingezogen und alles aufgeräumt. Schon vor der Reise erfuhren wir davon. Besuche spornen an und aktivieren, warum auch nicht. Wir staunen über das Erreichte und freuen uns mit ihnen aufrichtig. Küchenutensilien, Lebensmittel, Kleidung und mehr ist auszuladen. Die Kleine probiert die Schuhe an und sortiert die Spiel- und Bastelsachen wie auf einem Weihnachtstisch. Immer wieder versucht die Mutter in das Geschehen einzugreifen, Konflikte sind unübersehbar.

Nun erwartet uns der schwierigere Teil des Besuches. Mit der Großmutter und der Urgroßmutter finden wir einen Raum, in dem wir ungestört und ohne die Kleine und deren Mutter reden können. Noch einmal erläutern wir vorsichtig die ganze Situation des anstehenden Schulbesuches im nächsten Jahr, verdeutlichen die Problematik der Mutter und die Tatsache, dass das Mädchen einen vernünftigen Schulbesuch braucht. Wir erfahren vom Besuch einer Kinderschutzbehörde, in dessen Folge weitere Tatsachen offensichtlich wurden. Wir berichten von der Möglichkeit einer Unterbringung in einer, 40 Kilometer entfernt gelegenen, christlichen Einrichtung, Dort wäre Schulbesuch und Betreuung gewährleistet, ebenso die Fahrten am Wochenende nach Hause und zurück. Pfarrer Kovacs kennt den Bürgermeister und den Leiter der Einrichtung persönlich gut. Wieder tasten wir uns voran mit dem Willen, dem Mädchen den bestmöglichen Weg zu ebnen, ohne dabei jemanden zu „überfahren“. Zu unserem großen Erstaunen sind beide Frauen sehr erfreut. Sie wirken erleichtert über die Chancen und wir fassen die Möglichkeit ins Auge, im nächsten Frühjahr mit ihnen und Anamaria dort einen Besuch zu wagen. Die Kleine konnten wir im Sommer bereits in ein Ferienlager vermitteln, wo sich nach kurzer Eingewöhnung eine große Begeisterung bei ihr entwickelt hat. Sie hat uns davon erzählt und wieder berichten die Frauen davon, wie gut es ihr getan hat. Unsere Sorgen um das fehlende Einverständnis bezüglich unseres Vorschlages lösen sich in Luft auf, ihnen und uns ist es nun leichter ums Herz. Wir verabschieden uns, denn wir sind bei Rosi, der Sekretärin der Kirchgemeinde, eingeladen. Wir genießen die Freundschaften und das Essen, keiner fühlt sich fremd. 

Auch der nächste Tag wird ruhig, noch einmal besuchen wir die Stadt, feiern - wie meist im Herbst - den Geburtstag eines Mitreisenden mit einem Eisbecher im Kaufhaus, besuchen die Kathedrale und das Museum der rumänischen Revolution. Was in Rumänien anders verlief als bei uns vermitteln durchschossene Uniformen und blutverschmierte Kleidungsstücke. Eine umfangreiche Fotoausstellung und ein Film dokumentieren das Geschehen im Land vor 20 Jahren. Damalige Politiker, dargestellt in Gerichtsprozessen und mit entsprechenden Kommentaren versehen, genießen heute noch oder wieder politischen oder wirtschaftlichen Einfluss. Vieles unterscheidet die Entwicklungen unserer beiden Länder nach den fast zeitgleichen Revolutionen.

Mihaela, die Sozialpädagogin, und ihre Mutter besuchten uns im Sommer mit einer Gruppe der Kirchgemeinde in Deutschland. Jetzt sagen sie auch mit einer Einladung zum Essen „Danke“. Sie wohnt mit ihrem Mann, dem Sohn und ihren Eltern zusammen in einer Blockwohnung. Das ist eng, aber sparsam und so konnten sie schön renovieren. Sie erzählen davon und wieder genießen wir die Gastfreundschaft. Bogdan, ihr Mann, arbeitet in einer etablierten Firma und errichtet Telefonanlagen und Internetnetze. Er berichtet von seiner Arbeit, die oft mit EU-Projekten zu tun hat. Einiges scheint sich im Land zu bewegen, allerdings nur dann, wenn sich die administrativ Angestellten dafür bereit erklären. Wir denken an Balanu und kommen dabei vorerst nicht weiter. Das mit viel Liebe und Fantasie zubereitete Essen schmeckt köstlich.

Frau Eva wartet auch noch, wir sind angemeldet. Mehrere Leute verkraftet sie nicht mehr, im nächsten Jahr wird sie 80. Neben ihren Beschwerden durch die Kinderlähmung schwinden weitere körperliche und psychische Kräfte. Sie freut sich über den Besuch und stöhnt über die Unmöglichkeiten ihres Landes, an dessen Geschehen sie durch die Medien immer noch rege Anteil nimmt. Sie lebt in ihrer kleinen Welt, ihrem Zimmer. Nur mühsam hangelt sie sich, auf beide Ellenbogen stützend, um den runden Tisch. Sie versucht das Leben dort draußen, wo sie seit vielen Jahren selbst nicht mehr hinkommt und das sie vielleicht auch nicht mehr sehen will, zu verstehen. Nicht nur mit der Tüte Lebensmittel bringen wir Grüße. Immer wieder fragt sie nach Menschen, die sie schon besucht haben, an die sie sich erinnert. Ein Sozialsystem, wie wir es in Deutschland kennen, existiert in Rumänien weder für die vielen Frau Evas, noch für die vielen kleinen Anamarias. Sie sind sich in aller Regel selbst überlassen.

Im Sonntagsgottesdienst hören wir von einem Gelähmten, den vier Männer auf seiner Matte durch ein Loch im Dach des Hauses herablassen und vor Jesus ablegen (Markus 2, 1-12). „Als Jesus den Glauben der vier Männer sah, sprach ER zu dem Gelähmten…“ Als ER ihren Glauben sah, da spricht ER zu dem Kranken, mobilisiert ihn, vergibt, heilt und hilft zum Leben. Es wächst die Erkenntnis, dass Jesus solche „Mattenträger“ sucht, nicht zu verwechseln mit „matten Trägern“. Welche Stellung ist unsere – meine - in dieser Begegnung, in unserem - in meinem - Leben? Beklagen wir – ich - das Fehlende oder nutzen wir – ich – Gegebenes? Wagen wir es, den Einzelnen unter vielleicht Vielen mit seiner Matte vor dem Herrn abzulegen, auch wenn es nur der „Tropfen auf dem heißen Stein“ ist? Wagen wir den Versuch, wenn der Weg versperrt erscheint - sprich, das Haus schon voll ist? Fällt uns dann etwas absurd Erscheinendes ein - sprich, das Dach zu demolieren, um einen Weg zu finden? Oder geben wir auf mit den Worten: „Es soll eben nicht sein!“? Vieles geht uns bei der Predigt durch den Kopf und scheint so nahe zu sein angesichts unserer Erlebnisse und Erfahrungen in Rumänien und im Umfeld dieser Arbeit.

Nach dem Gottesdienst  übergeben wir beim Zusammensein mit der Gemeinde Geld für gemeindliche und diakonische Aufgaben. Familie Csiki muss noch vor dem Winter einen neuen Ofen kaufen, auch dafür ist ein Teil des Geldes bestimmt, das uns für die Menschen in Rumänien anvertraut wurde. Mit herzlichen Dankesworten werden wir gebeten, alle zu Hause zu grüßen. Auch der deutsche Konsul aus Temeswar, der den Gottesdienst besuchte, informiert sich und bedankt sich für die Hilfe mit aufrichtig herzlichen Grüßen. Wir verabschieden uns aus Temeswar, wissend, dass für uns die Ruhe vorerst vorüber ist.

Nach dreieinhalb Stunden erreichen wir, hinter Hunedoara gelegen, das Dorf Racastia. Normalerweise bleiben wir bis zum Montag. Doch schon in wenigen Stunden will der LKW in Balanu sein. Es bleibt nur wenig Zeit, die Familien wissen aber Bescheid. Alexandrus Tasche ist schon gepackt, er wird uns wieder begleiten. Pakete mit Lebensmitteln für einige Familien laden wir aus; ebenso Süßigkeiten, Spiel- und Schulmaterialien für die Schule und den Kindergarten. Einige Kinder treffen wir und bitten sie, Grüße an die Kinder des Ortes weiter zu geben. Es ist das erste Mal seit vielen Jahren, dass wir sie nicht besuchen können. Alexandru zeigt uns das neue Kinderzimmer unter dem Dach seines Anbaus, nur die Eingangstür fehlt noch. Bald werden die schon großen Mädchen ein eigenes Zimmer bewohnen. Alexandrus Augen blitzen vor Freude.

Ein Kurzbesuch bei Familie Varga muss sein. Auf dem Schießplatz hat sich nichts verändert. Die Kinder springen aufgeregt umher, als sie unser Auto bemerken. Wir laden die Lebensmittelpakete aus und reden mit der Mutter. Etwas Geld für die Busfahrscheine für drei Kinder und für Lebensmittel erreichen dankbare Hände und Herzen. Was für uns schon fast Gewohnheit ist, trifft unseren Erstreisenden tief. Diese Hütte, ohne Strom und Wasser, die zugenagelten Fenster, die maroden Wände und diese Familie zu erleben -  wer so etwas zum ersten Mal sieht,  muss verarbeiten. Dankbare Menschen stehen auch hier vor uns, die sich umeinander kümmern, so gut es geht, frei von Klagen und Gejammer. Wir versprechen, auf der Rückfahrt nochmals zu kommen. Wir brechen auf in Richtung Balanu und telefonieren mit den Fahrern des LKW. Sie sind auch unterwegs, wir liegen alle gut in der Zeit und das Retezatgebirge erscheint, in Schnee gehüllt, vor uns.

Bei der Ankunft springen die Kinder herum und die Erwachsen kommen gerannt. Herzlich ist die Begrüßung bei Cristina, ihrer Familie und dem Predigerehepaar. Wieder sind wir „zu Hause“ angekommen. Bevor es ganz dunkel wird entladen wir den Transporter. Im Wesentlichen sind es Lebensmittel für das Dorf und natürlich die Süßigkeiten zum Nikolausfest und für Weihnachten. Wir telefonieren wieder mit dem LKW und fahren in kleiner Besetzung zur Nationalstraße zurück, um ihn zu lotsen. Es regnet in Strömen und in der Dunkelheit ist selbst die Straße nicht mehr zu erkennen. Endlich gibt jemand Lichthupe und unser Sattelzug rollt heran. Durch kleine Dörfer bringen wir ihn bis zum Ende der Asphaltstraße, da bleibt er bis zum Morgen stehen. Mit den Fahrern freuen wir uns herzlich, dass alles gut lief und wir unsere Ladung wieder bei uns wissen. Ingersleben – Balanu ist eine Strecke, die mehr als eine Straße verbindet. Wenn auch der Asphalt in Teilen fehlt, so ist die Verbindung mit dem Segen Gottes ausgestattet, das spüren auch die Fahrer und darin sind wir uns schnell einig. Ein gemeinsames Abendessen und wenige Stunden Schlaf bleiben, bis der LKW am nächsten Morgen pünktlich um 6.30 Uhr vor dem Tor steht. Angelut, Cristinas Mann, hat mit einigen Helfern vor zwei Tagen Bäume und Büsche soweit beschnitten, dass der LKW in der Breite und Höhe durchpasst.

Es regnet immer noch und dunkel ist es auch. Als die Plane des LKW aufgeschlagen ist, hört der Regen wie auf Kommando auf und die Entladung beginnt. Die Reihe der Helfer bewegt sich abwechselnd vom Keller über die Räume des Neubaus bis über die Außentreppe unter das Dach. Letztmalig entfalten sich zahllose Kartons, Möbel in Teilen, Baumaterialien, Werkzeuge und eben alles, was aufgeladen wurde. An Ort und Stelle wird alles sortiert und untergebracht. Teilweise jahrelang gesammelt, erreichen die Dinge jetzt ihren Bestimmungsort. Die Stimmung ist geprägt von nervöser, aufgeregter Freude. Die Geduld der Fahrer spornt uns an und alle sind mit Freude dabei. Selbst Mela mit ihren fünf Jahren hilft und ist für das Inkontinenzmaterial zuständig. Zum Mittag ist der LKW leer, gefegt und wieder verschlossen. Die Spannung hat sich gelegt, es beginnt pünktlich wieder zu regnen, denn wir sind fertig und nichts ist nass geworden.

Der schwierigere Teil steht nun dem Fahrer bevor, denn der LKW muss wieder aus dem Ort. Meter um Meter schiebt er sich zurück, ein Wenden ist nicht möglich. Die Einweiser sind durchnässt, aber nach einer dreiviertel Stunde Rückwärtsfahren ist es geschafft. Wir verabschieden uns, dankend für alle Mitarbeit, Geduld und das gute Gelingen. Wer die Vorbereitungen ein wenig begleitet hat, ahnt, wie viele Steine uns mit der Abfahrt des Sattelzuges vom Herzen rollen.

Nun beginnt die eigentliche Arbeit. Die Treppen des Hauses sind seit September aus Beton gewachsen, ein Teil des Berges hinter dem Haus ist mit Eimern abgetragen worden und der zukünftige Heizungsraum entstanden. Angelut hat nicht viel geschlafen, manchmal vor Müdigkeit in seiner Baukleidung und während des Essens. Wir wissen, was wir vorhaben und beginnen mit den Restarbeiten des Frühjahrs. Das Dorfgemeinschaftshaus soll weiter ausgebaut werden und der Fertigstellung im nächsten Jahr entgegengehen. Im Obergeschoss sind Wohnräume fertig herzurichten, denn Cristina mit Familie muss im Winter irgendwo schlafen.

Fensternischen werden verkleidet, Wände und Decken geschliffen, gespachtelt und gestrichen. Dank der von einem Händler gesponserten Farbe verwandeln sich zwei Räume der Baustelle zu Wohnräumen. Die „Holzwürmer“ verlegen am nächsten Tag das Laminat samt Unterbau und am Abend steht die erste Schrankwand. Die Tage vergehen mit Möbelbau, Türenmontage, Komplettierung der Elektroanlage und dem Abteilen von Räumen mit Trockenbauwänden. Immer wieder muss gemessen und gerechnet werden, bis die mitgebrachten Möbel zu den Zimmermaßen und Türen passen. Mancher kämpft mit Erkältung, andere mit den Kindern des Dorfes.

Täglich stehen sie nach der Schule unten und warten auf jemanden zum Spielen. Alles wird möglich, jede und jeder hat eben seinen Job. Die Kinder sind begeistert. Sobald die „Rangordnung“ feststeht, läuft es nahezu perfekt. Sie lernen aufeinander zu achten, üben sich in Geduld, freuen sich miteinander und aneinander. Auch als Davit ausrutscht und im Schlamm landet ist das keine allzu ernste Situation!

Sozialprogramme nennen wir so etwas in Deutschland, was hier in wenigen Tagen abzuarbeiten ist, in jeder Hinsicht. Die Gespräche dauern dann nach der Arbeit und dem Essen manchmal bis drei Uhr morgens. Die Zeit muss genutzt werden. Wir wollen nicht nur die Sachen abliefern und ruhige Tage erleben. Jahrelang haben wir gefragt und getastet nach einem Weg, der diesem Dorf und seinen Bewohnern eine Chance zur Veränderung bietet. Jetzt gilt es zuzufassen, Möglichkeiten konkret aufgreifen und wiederum Samen auszusäen, ein Fundament zu setzen für existenzielle Grundlagen und soziales Wachstum. Nach den ersten Besuchen in diesem Dorf war für uns unklar, warum wir hierher geführt worden sind. Inzwischen denken wir es ein wenig verstanden zu haben, dass uns unser Herr zutraut, an diesem, von totaler Tristesse geprägten Ort mit meist hoffnungslosen Situationen und Menschen, etwas aufzubauen, das IHM Ehre bringt und den Menschen Chancen zum Leben. Man kann das nicht greifbar beschreiben, aber man erlebt es, wie sich etwas im Segen wandelt.

Vor der Fahrt versprach uns Cristina, dass noch eine Überraschung auf uns wartet. Schon bald haben wir sie erkannt, denn auch die zukünftige Sozialküche hat sich verwandelt. Sie ist bis zur Decke gefliest, das freut uns sehr. Nach zwei Tagen leuchten die neuen Lampen an der weißen Decke und die Edelstahlmöbel hängen an den Wänden. Fußbodenfliesen waren die größte Last im Gepäck, zusammen mit der kompletten Anzahl an Garant-Zimmertüren für das ganze Haus. Alles sind Spenden von Firmen oder Personen aus unserer Region, hier kommt es zum Einsatz. Stück um Stück wächst alles und es freut alle ungemein, dieses Werk wachsen zu sehen.

Wir begeben uns zur Schule, jeder bekommt seine Ladung geschultert. Das Wetter ist endlich besser geworden und die Herbstsonne zeigt uns das Gebirge in seiner ganzen Schönheit. Oben, am Ende des Dorfes, steht die Schule und die Luft wird durch die Last immer knapper. Unterwegs entdecken wir immer wieder neue Baustellen. Das im Ausland bei der Arbeit erhaltene Geld wird investiert und es entstehen Zimmer und kleine Häuser. Es geht eben vorwärts. Bujor, Cristinas Bruder, der schon einige Jahre in der Obsternte arbeitet, hat die größte Baustelle. Auch er fasst zu, geht vorwärts, Schritt um Schritt. Keiner hat einen fertigen Finanzierungsplan für Begonnenes, auch wir nicht. Mit den Menschen vertrauen wir auf den weiteren Segen unseres Herrn und auf die vielen Helferinnen und Helfer, die mit uns an diesem Werk arbeiten.

Die Kinder in der Schule und im Kindergarten begrüßen uns mit Liedern vom Herbst, der Lehrer berichtet vom Schulalltag. Fünf Kinder fehlen in der Schule, im Kindergarten noch mehr. Wen wundert es, oft nehmen Eltern die Kinder mit in die Stadt oder zum Holzsammeln. Es ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig. Schulmaterialien und Spielzeuge übergeben wir dem Lehrer und seiner Frau, die jetzt im Kindergarten eingesetzt ist. Während wir uns verabschieden erscheinen Frau Dr. Bobscok und ihr Mann.

Sie sind an ihrem letzten Urlaubstag aus der Nähe von Temeswar hierher gekommen. Als Ärztin will sie mit den Erwachsenen ein Seminar abhalten, in dem vorrangig auf die Gefahren des Rauchens hingewiesen werden soll. Fotografische Aufnahmen kranker Organe aus einer Klinik von zu Hause sollen deutlich auf die Folgen hinweisen. Die Kirche füllt sich und mit viel Einfühlungsvermögen bringt die Ärztin die Probleme nahe, gibt Hinweise und beantwortet Fragen. Sie ist durch Besuche bekannt und wird ernst genommen. Offene Gespräche befördern ehrliche Fragen. Es funktioniert eben nicht mit Pflastern und Pillen, wie die Werbungen suggerieren, sondern obenan stehen Einsicht und der Wille. Aber es muss erläutert werden. Für eine Kollegin beladen wir der Ärztin das Auto mit Apparaten und Hilfsmitteln aus einer Augenarztpraxis. Für Patienten, die nicht zahlen können, bekommt sie Medikamente. Beide fahren wieder nach Hause, für uns setzen sich Arbeit und Kinderbeschäftigung fort.

Am Abend sind das zukünftige Büro als Schlafzimmer und das Wohnzimmer mit weiteren Schlafmöglichkeiten für die Kinder möbliert. Fotos von den ersten Räumen entstehen und wir sehen die Dinge langsam wachsen. Richtig begreifen wird die Familie das erst, wenn sie sich nach unserer Abreise langsam einrichten. Nach dem Abendessen besprechen wir weitere Baumaßnahmen. An die Klärgrube und manches andere muss jetzt gedacht werden. Dafür, für die Kinder- und Armenspeisung, für medizinische Probleme, für Schulbrote und Internatsaufenthalte übergeben wir Geld. Die Ausgaben des letzten halben Jahres werden abgestimmt und die nächste Etappe besprochen. Es sind viele einzelne kleine Schritte und es gilt möglichst nichts zu übersehen. Cristinas Sohn besucht jetzt in Deva ein Lyzeum. Ohne Unterstützung wäre das undenkbar. 70 Euro kostet das Internat im Monat ohne Fahrgeld, das ist mehr als das monatliche Einkommen der Familie mit drei Kindern. Dank der Spendengelder können wir auch in dieser Sache helfen. Gibt es für die Kinder wichtigeres als eine möglichst gute Bildung?

Am nächsten Morgen holen sich, wie jeden Tag, zehn Kinder ihre Schulbrote ab. Cristina hat sie schon früh mit ihrer Mutter vorbereitet.  Begonnene Arbeiten werden abgeschlossen und die letzte Trockenbauwand gestellt. Überall sind die Zimmer erleuchtet, Angelut hat die meisten Wände und Decken geputzt. Wir sortieren Materialien und Werkzeuge, gegen Abend füllt sich die Kirche zum gemeinsamen Gottesdienst. Die Kinder erscheinen mit gewaschenen Händen und singen nach Kräften. Mit ihnen denken wir über die Funktionen des Körpers nach, jedes Glied hat seine Fähigkeiten und Aufgaben. Alles wird im Kopf organisiert und alle „Fäden“ laufen dort zusammen. Dieses Bild ist uns aus dem Wort Gottes bekannt, wir überlegen wie es im Dorf Balanu funktioniert. „Die haben alle zugehört und mitgemacht!“, sagt jemand aus der Gruppe hinterher und so war es. Wir verabschieden uns von den Kindern und verteilen dabei einige Süßigkeiten.

Sie gehen nach Hause und wieder fällt Loslassen schwer. Immer wieder hingen sie förmlich und buchstäblich an uns, wenn sie uns zu greifen bekamen, hungrig auch nach Zuwendung, begierig nach Freundschaft. Vieles haben sie schon begriffen und müssen es jetzt umsetzen, Tag für Tag neu, wie wir alle. Für das Dorf übergeben wir Medikamente gegen Erkältung. Sie sind im Winter so wichtig wie Lebensmittel, auch wenn sich Winterkleidung, dicke Betten und Schuhe im Keller des Neubaus bis an die Decke türmen. Es ist wieder einmal der letzte Abend. Für alle Dinge und Überraschungen bedanken sie sich ausführlich und einzeln. Sie wissen sich nicht nur beschenkt, sondern gesegnet und zum Weitergeben berufen. Das tun sie mindestens genau so gern wie wir.

Der nächste Morgen bringt den Abschied und damit den Kloß im Hals für jede und jeden. Fast eine Woche haben wir mit ihnen zusammen gelebt, gearbeitet, gefeiert und gebetet. Wir wissen um dieses Geschenk für beide Seiten und fahren ab. Wir müssen es lernen loszulassen, damit Weiteres und Neues wachsen kann. Heute ist Alexandrus Geburtstag, die Torte gab es schon gestern Abend. Seine Familie wartet.

Das Auto ist voll beladen mit Dingen vom LKW. Adriana erwartet uns, wir mussten versprechen, zum Essen zu erscheinen. Kürzer als sonst sind die Besuche. Familie Filip wird die entsprechenden Dinge in den nächsten Tagen in ihre Schule und den Kindergarten bringen. Wieder reißen wir uns los, Familie Varga auf dem ehemaligen Schießplatz bekommt noch Kleidung, Schuhe und ein Bett. Alexandru fährt mit seiner Familie voraus zu seinen Verwandten, wir treffen uns bei Familie Budris in Dobra. Sie sind glücklich über das erworbene Grundstück und bedanken sich immer wieder. Baumaterial lässt auf den baldigen Baubeginn hoffen. Von beiden Familien verabschieden wir uns, Pfarrer Kovacs wartet.

Der Film in unseren Gedanken läuft erbarmungslos rückwärts. Wieder erwarten uns viele Freunde am gedeckten Tisch, der Pfarrer bedankt sich für alle Unterstützung der vergangenen 11 Jahre und bei seinem Presbyterium für die gute Zusammenarbeit in den letzten 15 Jahren. Für uns ist es wieder ein letzter Abend und danach ein letzter Morgen. Wir verabschieden uns und bekommen die vielen Dankesgrüße auf Herz gelegt. Von Neuem bedeutet Abfahren loszulassen.

Vielleicht kennzeichnet das, was wir in unserer Arbeit mit, für und bei den Menschen in Rumänien erfahren, unser Leben. Bewusst oder auch oft unbewusst müssen wir es lernen, unsere Welt zu ertasten, zu erfassen und auch wieder loszulassen. Was uns von der Geburt bis zum Sterben wachsen und reifen lässt, ist der sinnvolle Umgang mit diesen Möglichkeiten, die nur uns als Menschen geschenkt sind. Wir wünschen allen Menschen, an diesem Leben wirklich Anteil zu haben, nicht abgeschrieben zu existieren, sondern als von Gott gewollte und geliebte Menschen ein Leben in Würde führen zu können. Einigen von ihnen, denen das verwehrt ist, wollen wir dazu verhelfen. Hoffnung breitet sich aus und feste Schritte werden getan, können wir mehr erreichen? Kann Hilfe mehr bewirken, als dass sich Menschen angenommen, geliebt und zum Leben befähigt wissen? Einige Voraussetzungen dazu können wir schaffen und sie sind im Wachsen. Immer neu heißt das, sich Menschen und Situationen tastend zu nähern, niemanden zu übergehen, mit zuzufassen wo es hilft und auch wieder loszulassen, um niemanden zu binden. Das ist auch für uns eine gute Schule.

Viele haben die Fahrt mit allen großen und kleinen Details unterstützt. Von der selbst gekochten Marmelade bis zu Möbeln und Zimmertüren ist alles am richtigen Ort angekommen. Mit kleinen und großen Beträgen wird für viele Menschen, junge und alte, kleine und große, das Leben leichter, der Schulbesuch ermöglicht, das Essen gekocht und vieles Gute mehr umgesetzt. Mit einem herzlichen „Dankeschön“ an Sie und mit diesem Bericht wollen wir diese Fahrt „loslassen“. Das heißt für uns gleichzeitig, sich wieder an Neues heran zu tasten, damit gesäter Samen gegossen und gepflegt werden kann, bis die Früchte reifen. Menschen wie Sie haben alles Beschriebene und mehr ermöglicht, mit Ihrer Hilfe ist Segen gestiftet, bewusst oder unbewusst. Daran mitwirken zu dürfen ist Geschenk und aller Mühe Lohn.

Wir wünschen Ihnen, dass Sie alle den Segen des Gebers aller guten Gaben im neuen Jahr ein Stück persönlich erfahren.

 

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