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Oktober 2010 - Feuer

Genauso wie dieses weiße Blatt Papier, welches vor uns liegt um mit Reiseeindrücken beschrieben zu werden, lag die Herbstreise vor uns. Sicher war vieles geplant, vorbereitet, geordnet und verpackt. Trotzdem ist es jedes Mal wie ein Neubeginn. Nichts ist Routine, auch wenn manche Vorbereitung schneller abläuft als noch vor Jahren. Dennoch ist die Erwartung dessen, was uns in Rumänien erwartet, hoch und angespannt.

Die Hoffnung, getragen und bewahrt zu sein und so auch wieder zurückzukehren, macht uns Mut. Das Wissen, Teil eines Planes zu sein, der für andere geschrieben ist, gibt uns die Kraft zum neuen Start. Das Interesse so vieler Helfer unserer Arbeit machte es neu möglich, dass wieder zwei Transporter an der Grenze ihrer Belastbarkeit bereit stehen, einer davon aus Tabarz. Wir werden einen Tag zeitversetzt abfahren. Ein LKW mit einer Teilladung von 13 Kubikmetern war schon auf den Weg gebracht.

Mit dem Drehen des Zündschlüssels am Morgen des 14. Oktobers beginnt sich das 26. Kapitel unseres Reisetagebuches zu füllen. Der erste kurze Halt erfolgt noch auf der Autobahn 9 in Thüringen. Ein weiterer Kleinbus aus dem Mädchenheim der Pößnecker Volkssolidarität wird uns begleiten. Mit einem Fahrer und zwei Erzieherinnen sind fünf Mädchen des Heimes an Bord. Eine ebenso dort tätige Sozialpädagogin aus unserem Arbeitskreis schrieb dazu ein Ganzjahresprojekt. Sie selbst ist Teil unserer Mannschaft und die Reise mit den Mädchen ist der Projekthöhepunkt. Neues entdecken, sehen und erleben soll den Horizont erweitern und dabei helfen, eigene Werte zu überdenken. Gleiches gilt auch immer wieder für uns, die Fahrt geht weiter.

Die Autos haben Mühe an jedem Berg. Neben Kleidung und Schuhen sind es Medikamente, Lebensmittel, Möbel, Installationsmaterial, Werkzeuge, Schul- und Spielsachen und vieles mehr, was wir gerade transportieren. Stück für Stück wurde uns übergeben, um es verantwortlich zu verwalten und einzusetzen. Auch in diesem Herbst ist uns das neu bewusst. Wir wollen die Familien besuchen, die nicht nur auf die Sachen, sondern auch einfach auf uns warten. Dass die Zeit an vielen Stellen zu kurz ist, das ist schon vorher klar. Wir wollen umsetzen, was die vielen Menschen, die uns unterstützen, ermöglichen - mit der Ladung selbst, aber auch mit den Geldern, die an vielen Stellen Löcher stopfen, die sonst weiter aufreißen. Wien und Budapest liegen hinter uns, bis Szeged rollen wir über die Autobahnen. Ab hier sind es noch gute zwei Stunden Landstraße, es ist wieder dunkel geworden.

In Rumänien die notwendige Vignette zu bekommen, wird zum ersten Abenteuer. An der dritten oder vierten Tankstelle gibt es sie noch, das schützt vor Strafen von über 200 Euro je Fahrzeug. Die Uhren werden eine Stunde vorgestellt, denn im Osten geht bekanntlich die Sonne eher auf. Manchmal gibt es daran Zweifel, aber dennoch ist und bleibt es auch so. Wir erreichen das Pfarrhaus in Temeswar nach gut 15 Stunden. Die Autos haben gut durchgehalten, die Mädchen und wir auch.

Aus des Pastors Küche, besser aus der seiner Frau, duftet es schon lecker. Nach der Begrüßung mit den vielen neuen Gesichtern müssen wir aber das Essen noch für etwas später verschieben. Jeder weiß, dass nach der Fahrt und einem solchen Begrüßungsessen niemand mehr Lust hat, die Autos auszuladen. Also geht es relativ zügig an die Ladung und dank der vielen Hände ist das Sortieren und Tragen bald erledigt. Alle 13 Schlafplätze sind vorbereitet. Manche Augenlider werden schon beim Essen schwer. Trotzdem besprechen wir noch den nächsten Tag, bevor sich die Mädchen verabschieden.

Für sie hat sich Robi, ein junger Mann aus der Kirchgemeinde, den nächsten Tag frei genommen, um sie an wichtige Plätze der Stadt zu führen. Die Geschichte der Stadt ist interessant und die Plätze, an denen die Revolution 1989 in Rumänien begann und die viele hundert Tote forderte, sind immer noch authentisch und markant. Robi selbst genießt den Rundgang. Nach der Arbeit und dem Zweitjob als Taxifahrer, hatte er schon seit geraumer Zeit keine Gelegenheit mehr, durch die sich stark nach dem Westen orientierende Metropole zu bummeln. Aber ohne die beiden Jobs käme er nur schwer über die Runden. Wir kennen ihn schon fast zehn Jahre. Er hat es gelernt zu kämpfen und für sich zu sorgen, auch wenn er noch bei den Eltern lebt. Dass sich mehrere Generationen eine kleine Wohnung im Block teilen hören wir oft, es spart eine Miete.

Wir sind unterwegs nach Arad, wo wir uns dank der Ortskenntnis von Pastor Kovacs nach gut einer Stunde Fahrt mit einem aus Eisenach stammenden Diakon treffen. Er kümmert sich in der nächsten Stadt um Ausbildung und Integration behinderter Menschen. Mit deutscher Pünktlichkeit finden wir uns am vereinbarten Platz, um erste Gedanken bezüglich eines Sozialprojektes für Balanu auszutauschen. Er will uns dabei mit seinen Erfahrungen und Verbindungen helfen. Ohne solchen Vorlauf wären Erfolgsaussichten nur sehr gering. Er berichtet von Gelungenem und Rückschlägen aus seiner mehrjährigen Tätigkeit. Sein Wissen und die Bereitschaft uns zu helfen spornen uns an. Es reicht uns nicht, zweimal jährlich insbesondere nach Balanu zu fahren, um in notwendigsten Sicherungsmaßnahmen ein mehr oder weniger besseres Überleben zu garantieren und einiges zu erleichtern. Die bisher entstandenen Möglichkeiten sind auszubauen und nachhaltig zu nutzen. Dazu sondieren wir Möglichkeiten vor Ort unter Einbindung kommunaler Behörden. Das ist schwierig, aber ohne es zu probieren wird nichts gelingen. Also heben wir unsere Füße wiederum, um erste Schritte zu wagen, im Vertrauen darauf, dass sie gesegnet und weitere folgen werden. Unser Anspruch an das was wir tun ist, dass Lebensperspektiven nicht nur manchmal von etwas Licht beschienene schwarze Löcher sind, sondern von Glaube und Hoffnung getragene Entdeckerfreude, auf der Suche nach persönlichen Chancen. Wenn Menschen das erreichen, dann hat sich jede noch so kleine Mühe doppelt gelohnt. Dazu soll besonders diese Fahrt dienen.

Der Diakon hat einen Termin in der Deutsch-rumänischen Stiftung vereinbart. Der Direktor erzählt uns von seiner Arbeit. Erwachsene werden beruflich in Kursen unterschiedlicher Gewerke qualifiziert. Wir sehen uns die Werkstätten an und überdenken Varianten, hierher Menschen aus dem Amtsbereich des auch für Balanu zuständigen Bürgermeisters zu vermitteln. Die Initiative muss natürlich dann von ihm ausgehen, es soll ein Angebot sein. Ein weiterer Termin ist mit einer Sozialexpertin vereinbart. Jetzt wird es für uns konkreter, wir reden über Balanu, über die Verhältnisse und die Menschen dort. Die Frau hat lange für das Sozialamt gearbeitet und ist jetzt Vorsitzende eines Sozialvereines. Immer wieder betont auch sie die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit der Kommune. Wissend um die Brisanz, erlauben wir uns die Frage, ob sie nicht einmal mit dem Bürgermeister telefonisch Kontakt aufnehmen würde. Ihre Kompetenz in den aktuellen sozialen Fragen und ihr Wissen im gesetzlichen Bereich sind allen Anwesenden in kurzer Zeit klar. Sie erklärt sich bereit, kurzfristig, das bedeutet in der kommenden Woche, mit uns gemeinsam den Bürgermeister dort zu besuchen, wenn wir einen Termin vorbereiten. Niemand von uns hätte so etwas erwartet, sind es doch 250 Kilometer bis dorthin! Mit neuer Hoffnung verabschieden wir uns aus Arad, wissend, dass wir weitere Unterstützer gefunden haben, von denen wir vor unserer Fahrt keine Ahnung hatten.

Zurück in Temeswar bleibt eine knappe Stunde Zeit um bis zur Kathedrale zu kommen. Der Buchladen wartet schon auf uns, wie jedes Mal. Wörterbuch und Kochbuch werden bezahlt.

Zu Hause warten einige Presbyter zum gemeinsamen Abendessen auf uns. Mit einer großen Torte feiern wir noch den Geburtstag eines immer im Herbst Mitreisenden. Eine in die Torte eingesenkte 40-Watt-Glühlampe symbolisiert die vierzig fehlenden Kerzen. Wer Zsombor Kovacs kennt, weiß von wem die Idee stammt. Der dritte Transporter mit zwei Leuten kommt wohlbehalten an. Wir berichten und erzählen hin und her und lassen den ersten Tag in Rumänien ruhig ausklingen.

Der nächste Tag führt uns nach Jimbolia. Anamaria ist dort vor drei Wochen eingeschult worden und wohnt in einem kleinen Kinderheim. Allerdings gab es jedes Wochenende Probleme mit ihrer Mutter. Geistig zurückgeblieben, kam sie damit nicht klar, dass die Tochter nun dort ist. Deshalb fahren wir zuerst an den Stadtrand von Temeswar, um die Familie zu besuchen. Die Hütte ist verschlossen, nur ein Raum ist geöffnet, in dem ein angetrunkener Mann liegt und telefoniert. Wir kennen ihn noch nicht. Anamarias Großmutter, die sich bisher um sie gekümmert hatte, liegt mit Lungenproblemen im Krankenhaus, erfahren wir. Ihre Mutter und Urgroßmutter sind mit Nachbarn nach Jimbolia gefahren um die Kleine zurück zu holen. Uns stockt der Atem, sofort springen wir ins Auto und fahren los.

Der Freitagsverkehr durch die Stadt zurück nervt, hoffentlich bleiben sie dort, wenigstens bis wir dort sind. Immer wieder telefonieren wir mit ihnen - sie versprechen zu warten. Die ganze Traurigkeit und die Defizite des Landes werden sichtbar. Trotz schwerwiegender Vorfälle hat die geistig behinderte Mutter das Sorgerecht. Was sie will, das ist Gesetz. Nicht einmal eine Unterschrift kann sie geben. Das Sozialrecht ist Papierkram. Pastor Kovacs gibt Gas, im Rückspiegel beobachten wir die Mädchengruppe, die uns folgt. Auch sie leben im Heim und für sie wird vieles authentisch und vergleichbar. Angekommen am Heim, sitzt die Kleine schon reisefertig im Auto. Mit der Mutter und der Urgroßmutter beginnen wir zu reden. Sie verstehen nichts und wir begreifen, dass die Kleine zu Hause für die Mutter nur Motiv ist, um an Hilfe und Gelder zu gelangen. Das ist die traurige Realität. Die Urgroßmutter will sich von jetzt an um sie kümmern, weil sie Strom im Haus hat.

Die Nachbarn kommen und fallen über uns her. Wir wollten das Mädchen stehlen und am Montag ist Treffpunkt bei der Polizei, versprechen sie uns. Als sich die Nerven und die Lautstärke ein wenig gelegt haben, erklären wir einige Vorfälle, die den dringenden Aufenthalt der Kleinen hier erforderlich machen. Allmählich scheinen sie zu begreifen. Nochmals reden wir mit den Angehörigen, wollen begreiflich machen, dass wir mit ihnen gemeinsam für Anamaria etwas Gutes erreichen wollen. Die Mutter hat zu entscheiden. „La acasa!“ (Nach Hause!), mehr als das fällt ihr nicht ein. Was das heißt, ist jetzt allen klar. Wir müssen die Kleine dorthin verabschieden, wo keiner weiß, wie es weiter zugehen wird. In uns scheint vieles zu verbrennen, alle guten Gedanken, Gespräche und Hoffnungen für das Mädchen, aber… die Mutter hat das Sorgerecht und wir sind nicht die Polizei. Alles ist uns zugeschnürt, wir gehen erst jetzt ins Kinderheim.

Piroska, die Heimleiterin, unterbricht ihre Arbeit in der Küche, wo sie gerade mit den zwanzig Kindern backt. Gerade hatte Anamaria begonnen sich einzugewöhnen und Freunde gefunden, hat in einem eigenen Bett geschlafen und ist in der Schule richtig gut klargekommen, erzählt sie. Sie kann nichts unternehmen und muss sich heraus halten, ihre Kinder um sie herum brauchen sie, jedes einzeln und alle zusammen.

Unsere Mädchengruppe sieht sich im Heim um, viel gibt es nicht zu sehen. Sie stellen fest, wie anders ihr Heim und ihre Zimmer sind. Trotzdem strahlen die Gesichter der Kinder und gern dürfen wir von dem Gebackenem essen. Die Kinder fühlen sich wohl, auch wenn es eng ist. Adam, knapp zwei Jahre, findet Platz zwischen den vielen Füßen und spielt mit einem Auto, andere gesellen sich dazu, auch von uns. Einen neuen Drucker, Unterwäsche, Strümpfe und Winterschuhe hatte sich Piroska für die Kinder auf Nachfrage gewünscht. Das, Süßigkeiten für Weihnachten und einiges mehr bleibt hier, auch die vorbereiteten Pakete für Anamarias Familie und das Fahrrad für die Mutter. Pakete, die extra für das Mädchen gepackt und abgegeben worden sind, verwahrt Pfarrer Kovacs, der sich natürlich weiter um die Kleine kümmern wird, immer mit der Absicht, bei nächster Gelegenheit etwas zu unternehmen. Mehr ist momentan nicht möglich. Traurig fahren wir zurück, Piroska schickt noch zwei Nachrichten und bedauert alles, versucht uns zu trösten. Wer das miterlebt, weiß was uns bewegt, wir sind wie ausgebrannt. Wir müssen lernen, damit umzugehen.

Rückwärts halten wir an einem Trödelmarkt. Mit beiden Händen muss man in den Haufen von Autoersatzteilen, Werkzeugen und anderen Utensilien wühlen, will man etwas Bestimmtes finden. Auf den Tischen sieht es aus wie in uns drin, wir finden nichts und fahren nach Hause.

Vorbereitungen für den Sonntag sind zu treffen, das Auto wird für die Weiterfahrt geladen.

Im Sonntagsgottesdienst treffen wir uns mit der Gemeinde. Dort übergeben wir im Anschluss bei Kaffee und Kuchen Geld, das für den Lohn der Sekretärin und Sozialaufgaben bestimmt ist. Es hilft der Gemeinde, Dinge zu finanzieren und selber zu helfen, was sonst nicht möglich wäre. Die Arztstube tut weiterhin gute Dienste, für Nachschub ist gesorgt. Gespräche kreisen um das Miteinander, trotz der 1200 Kilometer Distanz. Doch der Tag ist noch lange nicht zu Ende. Nach einer Suppe brechen wir auf und erreichen nach gut drei Stunden Hunedoara.

Alexandru Filip erwartet uns schon an der Burg. Wir fahren gleich zu Familie Varga auf den ehemaligen Schießplatz hoch. Dort brauchen wir noch Tageslicht, denn anderes gibt es nicht, abgesehen von den leuchtenden Augen der Eltern und denen der acht Kinder. Eine kurze und herzliche Begegnung ist es, gern laden wir die Lebensmittel und Winterkleidung aus und alle helfen beim Reintragen. Unsere Mädchen möchten wissen, wie das Leben einer so großen Familie in so einer kleinen Hütte funktioniert, und gerade heraus antwortet die Mutter auf alle Fragen. Zu verheimlichen gibt es nichts, auf einen Blick ist alles zu überschauen. Die Sauberkeit und Ordnung sind unübersehbar und nicht für uns vorbereitet, das ist ihr Leben und sie strahlen es aus. „Gott hilft uns und wir tun was wir können.“ So einfach kann die Formel für Zufriedenheit sein, zumal sie gesund sind und die Kinder gut in der Schule zurecht kommen.

Einen Kurzbesuch statten wir Adriana und ihrer Familie ab, die schon warten. Sie wissen, dass wir nicht übernachten können. Bei Familie Filip laden wir einige Pakete aus. Sie helfen in der kommenden Zeit an vielen Stellen. Die Familie steht in Reih und Glied am Zaun, die Begrüßung dauert dieses Mal immer etwas länger, denn wir sind schon dreizehn Leute. Im Hof entdecken wir die neue Sommerküche. Alexandru hat sie den Sommer über mit einem Bekannten professionell als Terrasse gebaut und gemütlich eingerichtet. Es ist mindestens im Sommer ein angenehmer Ausgleich für die engen Zimmer. Wir freuen uns an solchen Investitionen, die das Leben immer ein Stück erleichtern. Sie zeigen, dass Hilfe anregt, sich selber Gedanken zu machen und Mut zu haben für Neues. Er steigt mit uns ins Auto und wird uns wieder nach Balanu begleiten, um dort mit zu helfen.

Unterwegs erzählt er davon, dass er im Sommer einen Hitzschlag bekommen hatte. Als Sicherheitsmann bewacht er ein Firmengelände, war allerdings nicht versichert. So musste er Krankenhaus, Behandlung und Medikamente selber bezahlen. Nach diesem Vorfall im Dienst bekam er endlich einen Arbeitsvertrag. Damit ist jetzt mindestens krankenversichert. Die Kinder haben ausgezeichnete Resultate in der Schule, Monica ist im letzten Schuljahr und steht vor dem Lyzeumsabschluss. Das freut uns besonders, denn sie haben verstanden, worauf es ankommt. Stelian war in Italien auf dem Bau. Täglich fünfzehn Stunden Arbeit und ausbleibendes Geld zwangen ihn zur Rückkehr. Neben seinem Taxidienst wird er in den nächsten Tagen den Vater an seiner Arbeit vertreten. Drei weitere Kinder der Familie arbeiten im Ausland, da sie im Land nichts finden konnten. Was sich so kurz über die Besuche beschreiben lässt, bedeutet in Einzelnen weit mehr. Kinder können zur Schule gehen, ohne dass ihr Status sofort sichtbar wird. Eltern haben keine Angst vor der Erkältung ihrer Kinder, denn es gibt Medikamente. Weihnachten gibt es Süßigkeiten, sicher nicht lebensnotwendig, aber doch schön. Bis dahin und darüber hinaus können Propangas, Feuerholz und Schulbus bezahlt werden und manches mehr. Es wird dunkel, wir nähern uns Balanu.

Trotz der Kühle wird es in uns warm. Das ist immer so kurz vor Balanu, denn die Herzlichkeit der Menschen dort strahlt uns entgegen. Wir wissen, dass wir hier richtig sind und vieles vor uns liegt, worüber wir hinterher wieder staunen können. Die Ladungen im Rücken machen vieles möglich, die Gelder sind streng eingeteilt für die einzelnen Positionen, aber doch ist es mehr, was sich hier immer abspielt und wir nennen es Segen.

Die erste Überraschung nähert sich uns mit der Straße. Aus dem knapp zwei Meter breiten Waldweg am Hang zum Fluss mit den vielen Steinen und kleinen Seen ist eine autobahnähnliche Dorfzufahrt entstanden. Wir können es nicht glauben und stehen schon im Dorf. Europa ist angekommen - mindestens mit dem Asphalt und der Leitplanke - wir auch, an der dritten Station der Reise. Cristina und die Familie strahlen uns entgegen, wer sich kennt reflektiert das Licht. Es sind zu viele Namen auf einmal, aber das macht nichts.

Die Autos freuen sich über jedes Stück, das jetzt ausgeladen wird. Trotz verbesserter Straßen mussten wir immer noch vorsichtig fahren. Wir atmen auf und sehen uns im neuen Haus um. Vieles ist entstanden und wir können die Pläne für die nächsten Tage machen, denn noch ist handwerkliche Arbeit angesagt, wir sind vorbereitet. Quartiere beziehen und essen sind die letzten Aufgaben des heutigen Tages. Die Mädchen fallen im Speiseraum des Neubaus auf die Matratzen, die Erzieherinnen finden im zukünftigen Gästezimmer, das inzwischen einen neuen Fliesenboden erhalten hat, zwischen mitgebrachten Schrankteilen ihren Schlafplatz. Sie werden in den nächsten Tagen ihren Tagesablauf eigenverantwortlich gestalten und sich in der neuen Dorfküche selber versorgen. Wir versuchen uns noch im Planen der nächsten Schritte, bis das letzte Licht  ausgeschaltet wird. Das Schlafen fällt nicht allen leicht, denn vieles wandert noch im Kopf hin und her. Bis Donnerstag ist noch manches vorzubereiten. Dann erwarten wir das letzte Auto mit drei Installateuren, die Wärme ins Haus bringen sollen. Das ist wesentliches Ziel, denn die kalte Jahreszeit steht unmittelbar bevor und damit die Frostgefahr für alle Wasserleitungen im Haus.

Der Morgen beginnt schon vor dem Frühstück in Arbeitskleidung. Unser Wassermann macht sich im neu gefliesten Bad im Obergeschoss an die Arbeit. Waschbecken, WC und Dusche sind einzubauen. Erst nach der Verbreiterung der Straße hat Cristinas Mann Angelut die Klärgrube endlich versenken können. Wesentliche Voraussetzung auch für das weitere Arbeiten und Leben. Die letzten Räume sind fertig gefliest und hergerichtet, wir komplettieren mit Steckdosen und Schaltern. Der Heizungsraum erhält die nötigen Elektroanschlüsse, die neu gebaute Außenbeleuchtung erleichtert in den Abend- und Morgenstunden vieles, zumal es während der nächsten drei Tage fast durchgängig regnet. Die Pößnecker Gruppe macht sich auf den Weg in die Stadt um einzukaufen und sich umzusehen. Schnell ist deutlich, dass vieles überschaubar ist und sich wesentlich auch von Temeswar unterscheidet. Trotzdem ist das Stadtzentrum farbenfroher geworden.

Die erste Regenpause in Balanu nutzen wir für einen kleinen Rundgang mit der Gruppe. Auch hier gibt es einige Neubauten. Aber die stechen noch deutlicher aus den Hütten heraus, deren Zustand sich wohl kaum verbessert hat. Immer wieder erklären wir, dass sie das Zuhause von den Menschen sind, von Familien, von Kindern und Alten. Alle grüßen uns freundlich und viele kommen uns freudig entgegen. Unseren Neuankömmlingen bleibt oft der Mund offen stehen, selbst wenn sie versuchen es zu unterdrücken. Das vorher auf Bildern Gezeigte und Beschriebene ist trotzdem, real auftauchend, oft einfach unglaublich. Das Wort Menschenwürde nimmt Gestalt an, weil es in Wahrheit nicht zu existieren scheint angesichts solcher Lebensumstände. Die Vorstellung, wie ein normales tägliches Leben hinter solchen Bretterwänden abläuft, übersteigt das Fassungsvermögen. Und dabei denken wir noch nicht an Problemfälle. Hinter einer Fensterscheibe grüßt uns ein neues Gesicht. Ein zwölfjähriges Mädchen lebt hier mit seiner Mutter erst seit einigen Monaten. Das Mädchen ist spastisch gelähmt und anscheinend auch geistig behindert. Sie bekam von Cristina den Rollstuhl, damit sie überhaupt bewegt werden kann. Sie winkt uns freundlich zu.

Cristinas Bruder hat mit der Familie sein neues Haus bezogen. Seit einigen Jahren haben er und seine Frau sich aus der Ernte in Deutschland Geld gespart und nun begonnen, die Früchte ihrer Arbeit im eigentlichen Sinn des Wortes, zu ernten. Zwei Zimmer sind fertig. Wir komplettieren in den nächsten Tagen die vorbereitete Elektroanlage. Von den Mädchen werden an Cristinas Gartenhang zwei Obstbäume gepflanzt, sie sollen an die Gruppe erinnern und Früchte bringen, die andere erfreuen. Am Nachmittag rollt der große LKW ins Dorf, der uns schon vor einem Jahr mit dem Transport wesentlich geholfen hat. Dank der vielen Hände ist nach einer Stunde alles abgeladen und verstaut. Möbel, Schuhsäcke, Spielzeuge und vieles mehr sind nun angekommen und wird spätestens bis Weihnachten den Besitzer gefunden haben.

An einem der folgenden Abende setzen wir uns mit Cristina und ihrer Schwester mit der Mädchengruppe zusammen. Sie erzählen von dem Leben im Dorf und antworten auf alle Fragen offen. Sie beschreiben das Leben, die finanziellen Bedingungen und die Strafverfolgung im Falle des Falls, denn Holz braucht jeder zum Heizen, auch wenn dafür das Geld nicht reicht. Wer mehrere Kinder hat, hat weniger zu essen - solche Informationen im Detail zwingen einige der Mädchen beim Zuhören aufzugeben. Sie versuchen sich das real vorzustellen, aber es wird bald zu viel. Man kann es nur zur Kenntnis nehmen, ohne es verstehen zu wollen. Mehr ist nicht möglich, auch oft für uns nicht. Erst vor wenigen Tagen haben wir die Geschichte mit Anamaria erlebt. Verarbeitet ist das bei uns noch lange nicht.

Wir arbeiten weiter, verfugen geflieste Böden, bauen die letzten fehlenden Zimmertüren ein, kümmern uns um Wasser und Abwasser. Es macht Freude, alles Stück um Stück zusammenwachsen und funktionieren zu sehen. Jeder Tag motiviert uns für den nächsten, und mit jedem Schritt wird es wärmer in uns. Die Mädchen machen einen Ausflug hoch in die Berge zum großen Stausee. Trotz Nebel, der die 2500 Meter hohen Berge verhüllt, bietet sich ein faszinierender Blick auf dieses international bekannte Biosphärenreservat.

Zurück im Dorf übernimmt die Gruppe den Schulbesuch und bereitet, mit einigen Kindern bastelnd, den Kindernachmittag vor. Aus der Küche duftet es nach frisch Gebackenem und schon steht ein großer Topf auf dem Herd, in dem sich frisches Gemüse und andere Zutaten zu einer leckeren Suppe vereinen. Nach einem kurzen Gottesdienst kommen Kinder, junge Mütter mit Babys und Alte rüber ins Haus. Gemeinsam zum Essen zu erscheinen ist immer wieder ein Höhepunkt im Dorf. Die Plätze reichen nicht aus und so wird in mehreren Runden gegessen. Die Mädchen servieren die von ihnen vorbereiteten Dinge im bunt geschmückten Raum. Jeder genießt das Ganze auf seine eigene Art. Es hat endlich aufgehört zu regnen, wer fertig ist mit essen oder noch warten muss, spielt draußen auf der breiten Straße. Wir beobachten und freuen uns, müssen aber noch einige Dinge erledigen.

Cristina´s Küche in Obergeschoss erhält Möbel, die aus Wandersleben und Gotha stammen, neue Arbeitsplatten werden gesägt, die Spüle eingebaut, alles passt bestens zusammen, auch zu den von ihnen selber gekauften Fliesen. Die erste Mahlzeit nehmen wir dort zwischendurch gemeinsam mit den neuen Eigentümern ein. Die Küchenlampe aus Neudietendorf sorgt am Abend dafür, dass die letzten Details ihren Platz erhalten.

Zwischendurch rollt das letzte Auto mit den drei Heizungsmonteuren aus Ingersleben und aus dem Erzgebirge an. Andere Freunde haben sich zur Heimreise verabschiedet. Fliesen sind blank geputzt, alle Wasseranschlüsse hergestellt und funktionstüchtig. Manchmal war es aufgrund der im Land erworbenen Dinge etwas nervenaufreibend, bis nichts mehr tropfte, wo es trocken sein sollte. Das Auto mit den Heizungsmaterialien und Werkzeugen ist zu entladen, auch ein Karton mit Bananen taucht auf. Er findet in der wieder gut gefüllten Speisekammer der Dorfküche gerade noch einen Platz, die Kinder werden sich freuen.

Wie geplant, sitzt die Pößnecker Gruppe am Freitag schon sehr zeitig im Auto, bereit zur Rückreise. Am Abend vorher saßen wir noch einmal kurz zusammen um darüber zu reden, was nun das Wichtigste war, was sie erlebt haben. Die glücklichen Kinder sind es immer wieder, ihre Aufgeschlossenheit und das gemeinsame Spielen mit ihnen, das war für alle das Eindrücklichste. Wie das ist, wenn sie nicht mehr da sind, wollten sie wissen und erfuhren, dass es schon für alle eine besondere Zeit ist, wenn wir da sind. Trotzdem steht immer eine große Zahl von ihnen hier vor dem Haus und wartet, dass sich jemand mit ihnen beschäftigt. Jedes der Mädchen hatte während der Tage „sein“ Kind gefunden. Eigenes Erleben können sie teilen und haben es nach Vermögen umgesetzt. Andrada, Raul, Catalin, Larisa, David und wie sie alle heißen, haben die Nähe der Mädchen und die Zeit genossen, jede und jeder hat das gespürt und es wird lange in der Erinnerung wach bleiben. Jetzt ist Abreise und ganz leicht fällt es kaum jemanden von ihnen. Dank ihres freudigen Einsatzes waren die Tage für die Kinder trotz des vielen Regens sonnige Tage. Wie jeden Morgen holen einige der Kinder ihr Schulbrot ab, das wir dank einer extra Spende wieder im nächsten halben Jahr garantieren können.

Die Heizungsbauer erscheinen, bald hängen die letzten zwei Heizkörper und sie verbinden alle Rohre zu einem System. Es läuft wie oft geprobt, der Kessel bekommt die Anschlüsse und Teil um Teil wird miteinander verbunden.

An diesem Tag kommen auch die Sozialexpertin aus Arad und Pastor Kovacs gegen Mittag an. Über fünf Stunden dauerte die Fahrt. Die Frau verschafft sich im Dorf einen kurzen Überblick, wir erklären, immer wieder kommen Kinder gerannt und wollen „salut“ sagen. Die Frau kann manchmal gar nicht mehr hinsehen, wo Menschen ihr Dasein fristen, sie hat schnell begriffen, worum es hier geht. Der Bürgermeister ist pünktlich am Dienstsitz, wir auch. Nach einer guten Stunde im Gespräch, in dem er auch vom neuen, im Frühjahr gegründeten Verein „PRO-BALANU“ und seinen Zielen erfährt, erklärt er sich bereit, im nächsten Jahr die Sozialküche nach Kräften zu unterstützen. Nach Jahren unserer Arbeit scheint er zu verstehen, dass es uns ein brennendes Anliegen ist, gemeinsam eine Perspektive für die Menschen dort zu entwickeln. Es wird nur mit ihm gemeinsam gelingen. Die Gespräche, die wir in Arad führten, legen wir dar und suchen nach Machbarem und nach Umsetzbarem für die absehbare Zukunft. Mit der Ärztin der Region will er einen Termin vereinbaren mit dem Ziel regelmäßiger Konsultationen. Der Raum steht dazu ab sofort zur Verfügung. Mehr konnten wir nicht verlangen, jetzt hat jeder dafür seine Hausaufgaben zu erledigen, viel Zeit für die Vorbereitungen bleibt für niemanden. Die beiden verabschieden sich. Es war wichtig, dass sie uns begleitet haben.

Zu Hause stecken wir wieder schnell in den Arbeitshosen. Spiegelschränke sind zu montieren und das Gästezimmer bekommt ein Bett und Schränke. Mit Teppich, Tisch und Stühlen ausgestattet, wartet es ab jetzt auf Gäste. Waschbecken und WC im Bad nebenan sind auch angebaut, Wanne und Dusche müssen bis zum Frühjahr warten. Am Abend ertönt kurz nach sechs Uhr das Signal zum Anfeuern des Kessels. Alle Rohre sind verbunden und das erste Streichholz versetzt das etwas feuchte Holz dann doch in die Lage, die erste Wärme zu erzeugen. Noch qualmt alles, was neu ist, aber nach und nach fördert die Pumpe die Wärme in alle Räume. Was für ein Gefühl nach den kalten und feuchten Tagen! Wärme erfüllt uns beim Gedanken, dass der Winter kommen kann und mit der Heizung ein wesentlicher Teil der Arbeit beendet ist.

Wieder denken wir dankbar an alle, die dazu beigetragen haben, an Mittel aus der Aktion „Hoffnung für Osteuropa“, an die Installateure, aber auch an alle, die mit weiterem Material, vom Rohr über die Kleinteile bis zu den Pumpen, und mit erforderlichen Geldspenden geholfen haben. Das Feuer lodert und am Abend sitzen wir mit Cristina und Angelut im gemütlichen Zimmer, um letzte Dinge zu besprechen. Wärme siegt über die Kälte, die uns noch bis gestern Abend an gleicher Stelle unter die dicken Jacken gekrochen ist.

Am Giebel des Hauses leuchtet an diesem Abend zum ersten Mal ein gelber Herrnhuter Weihnachtsstern, ein Geschenk der Neudietendorfer Brüdergemeine. Es ist kein Scheinwerfer, der das halbe Dorf anstrahlt, wohl aber ein vorsichtiges und dennoch eindeutiges Leuchten, das die nächstliegenden Schritte sicher gehen lässt, gleichsam einer Demonstration unseres Weges in diesem Ort.

Der letzte Morgen bricht an, wir räumen zusammen, ordnen und sortieren, gehen alles noch einmal durch. Angelut hat schon Feuer gemacht und die Räume sind warm, es ist unglaublich. Beruhigt packen wir in Ruhe die Autos. Raul mit seinen drei Jahren steht, wie täglich, als erster schon am Morgen am Tor. Ohne Strümpfe in den Gummistiefeln, kaut er bald zufrieden an der Banane. Warum er nicht zu Hause ist wollen wir wissen und trocken erklärt er uns, dass ihn dort keiner in die Arme nimmt. Er spürt, wie viele der Kinder und Älteren, dass von diesem Hause eine Wärme ausstrahlt, die einem anderen Feuer entspringt, als das, was uns und den Bewohnern und Gästen dieses Hauses von nun an das Leben wesentlich erleichtert. Dieses Feuer, das die Menschen hierher zieht und wärmt, ist entzündet in den Herzen derer, denen die Menschen in ihrem vielfältigen Elend nicht egal sind. Seinen Ursprung findet es im Herzen dessen, der länderübergreifend verbindet und die Pläne geschrieben hat.

In unserer Zeit wird das Wort „Liebe“ oftmals abgedroschen und entartet missbraucht, in Balanu nimmt es Gestalt an und sie selbst bricht sich Bahn im ursprünglichen Sinn. Wir müssen uns verabschieden und versuchen loszulassen was hinter uns liegt, damit es anderen zum Segen und Nutzen erwächst. Mit dankbar auf unseren „Architekten“ gerichtetem Blick wollen wir nach vorn sehen und Ausschau halten, welchen nächsten Schritt uns Sein Licht erkennen lässt. Die neue Straße lässt Balanu schnell hinter uns verschwinden, obwohl wir vieles davon noch vor uns sehen.

Ein letzter Abend bei Pastor Kovacs  in Temeswar mit den Presbytern hilft uns beim Ordnen der Gedanken. Grüße werden uns mit auf die Reise gegeben und selbst gekochte Marmelade. Am Morgen folgt auch hier die Verabschiedung und wir bewegen uns in Richtung Deutschland, wo jetzt die weißen Seiten gefüllt erscheinen.

Mit Dankesgrüßen aus den Herzen aller, von denen wir berichtet haben, danken wir Ihnen, die uns geholfen haben, das hinter uns Liegende erledigen zu dürfen. Sach- und Geldspenden konnten wir transportieren und weiterreichen, Gebete haben uns spürbar getragen. Wir wollen jetzt ein wenig „nachlegen“ damit weiterhin Wärme ansteckend wirkt und vielleicht noch glimmende Dochte neu aufleuchten.

Dass diese Wärme, die Sie gegeben haben, auf Sie zurück reflektiert, dass Sie spüren und erfahren, wie wichtig jede und jeder Einzelne von Ihnen ist, das wünschen wir Ihnen.

 

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