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Oktober 2012 - Überraschungen

Längst sind das Auto und die Taschen ausgepackt und alles hat wieder seinen Platz gefunden. Der Alltag kehrt zurück, schneller als man denkt. Wir schauen auf die hinter uns liegende Fahrt nach Rumänien zurück und ertappen uns dabei, wie wir schon wieder nach vorn sehen. Die Gedanken beraten sich, vieles bewegt uns - und nicht allein nur uns. Im Rückblick versuchen wir zu verstehen, selten gelingt es.

Vieles begegnete uns, mehr oder weniger erwartungsgemäß. Doch beginnen wir von vorn. Wenige Tage vor der Abfahrt wurde der LKW gepackt, als Teilladung schickten wir hauptsächlich Möbel, Kleidung, Fahrräder, Schuhe und Milchpulver nach Rumänien. Die Zuverlässigkeit der Spedition bestätigte sich auch dieses Mal. Während wir zu Hause noch die letzten Lebensmittel in Kartons verpackten, kam die Nachricht, dass alles gut bei unseren Partnern ankam. Die letzten Nächte wurden fast zum Tag, bis der letzte Karton verklebt und beschriftet war.

Wir starten am Morgen des 18. Oktober. Viele Grüße begleiten uns. Lebensmittel, Medikamente, Werkzeuge, Hygieneartikel, Schulmaterial, ein Kopierer und vieles mehr füllen das Auto bis zum letzten Zentimeter. Die eingegangen Geldspenden nehmen nicht so viel Platz weg, doch sie werden viele Nöte lindern können und manchen Menschen in Rumänien besser schlafen lassen, da sind wir uns sicher. Jedes Mal sind wir überrascht, dass es wieder möglich ist, diesen Dienst tun zu können und dafür gut ausgestattet zu sein. Der Dank darüber treibt uns genauso an, wie der Diesel den Transporter. Vor uns liegen 17 Tage, die wir in Rumänien verbringen wollten. Eine Woche länger als die bisherigen Fahrten ist eingeplant. Wir lernten Menschen aus der Bukowina in Deutschland kennen, die uns eingeladen hatten. Gern nahmen wir die Gastfreundschaft an und planten jetzt im Herbst den Besuch mit ein. Nur zu dritt sind wir unterwegs, nicht zu viele Aufgaben stehen dieses Mal an. Auf die übliche Kaffeepause in Passau will niemand verzichten, denn sie gehört, wie so vieles, einfach ins Programm.

Nach 14 Stunden begrüßt uns Pfarrer Kovacs in Temeswar. Wir sind erleichtert, angekommen zu sein. Der Stau bei Budapest hat uns eine Stunde gekostet, doch unser Auto befindet sich in einem weitaus besseren Zustand als die vier LKW, die dort aufeinander gefahren, den Stau verursachten. Die Freude ist immer aufs Neue herzlich und die Begrüßung traditionell (man weiß, wie das gemeint ist). Der Stand der Vorbereitung des Abendessens lässt es zu, dass wir noch ausladen. Die Gemeinde hat nun endlich einen frisch überholten Kopierer. Kleidung, Bettwäsche, Schuhe und Inkontinenzmaterial werden in der nächsten Woche verteilt sein. Der gemütliche Teil des Abends kann beginnen. Wir sind erleichtert und planen die nächsten Tage. Pastor Kovacs hat morgen Dienst, nicht als Pfarrer sondern als Fahrer. Das Geld ist knapp und so fährt er für einen Bekannten regelmäßig einen Kleinbus und beliefert Farbengeschäfte. Ein kleiner Nebenverdienst für viele Kilometer am Tag, aber ohne den wäre es noch weniger. Das Leben in Rumänien hat sich spürbar verteuert und jeder möchte das irgendwie auffangen. Wir spüren dann doch die 1200 Kilometer und sinken in den Schlaf.

Der erste Morgen in Rumänien beginnt nach dem Frühstück, wie so oft, mit dem Gang zur Wechselstube, danach geht’s ins große Bega-Kaufhaus, um rumänische Telefonkarten zu kaufen und anschließend in Richtung Kathedrale. Die Bücherläden werden durchstöbert, um für Freunde und Patenkinder einzukaufen und Ansichtskarten sollen nach Deutschland geschickt werden. Die Stadt lebt, das spürt man. Doch zu oft begegnen wir Menschen, denen deutlich anzusehen ist, dass sie an diesem Leben nur wenig Anteil nehmen können. Mit Frau Kovacs bringen wir vier große Tische und siebzehn Stühle in die kleine Reformierte Kirche, in der sie als Pastorin tätig ist. Die alten Stühle haben ihren Dienst längst getan. Sie freut sich darüber ebenso, wie die Gemeinde, das erfahren wir später. Der LKW hat den Transport ermöglicht. Wir treffen Pastor Kovacs auf dem Parkplatz vor dem Praktiker-Baumarkt. Für das Kinderheim in Jimbolia suchen wir noch Pinnwände aus Kork für Fotos. Piroska, die Leiterin schrieb vor der Abreise noch eine Mail, aber es war keine Zeit mehr zum Einkauf. Die Nachfrage im großen Baumarkt verläuft ergebnislos. Auch die Suche nach Preisen für Trockenbauprofile ernüchtert uns. Vor dem Regal bestaunen wir die zwei einzigen Stücke und noch mehr die ausgewiesenen Preise. Mindestens was die Korktafeln betrifft können wir improvisieren und entscheiden uns für Laminatdämmplatten und doppelseitiges Klebeband. Es wird funktionieren. Wir begleiten den Farben transportierenden Pfarrer in das nahe liegende Geschäft, das er noch zu beliefern hat, bis es dann nach Hause geht. Heute war er 400 Kilometer unterwegs, oft ist es das Doppelte. Umgerechnet zwölf Euro verdient er jedes Mal dazu.

Frau Eva erwartet uns noch. Der Besuch bei ihr gehört zum Programm wie die Kaffeepause in der Donautal-Raststätte bei Passau. Vor etlichen Jahren bekam sie einen Nachtstuhl, mit dem, wie sie damals sagte, für sie ein neues Leben begann. Im Frühjahr bat sie uns um einen neuen, da er ziemlich lädiert war, nur der gleiche sollte es sein. Wir kennen die Frau und wissen um ihre Sensibilitäten. Das gleiche Modell war auch Teil der LKW-Ladung. Da man vor ihrem Haus absolut nicht parken kann, machen wir uns zu Fuß auf den Weg. Rechts und links je ein Träger, in der Mitte der Nachtstuhl. Die Geschäftsidee einer mobilen Toilette in Temeswar wird geboren und lässt uns schmunzeln. Im gleichen Moment stolpern wir über ein Toilettenbecken aus Porzellan, das irgendjemand auf dem Gehweg abgestellt und mit Müll gefüllt hat. Frau Eva freut sich über den Besuch und ist überrascht, dass wir ihren Wunsch vom Frühjahr nicht vergessen hatten. Heute steht sie nicht auf, um uns den Anblick zu ersparen, wie schwer sie sich um den runden Tisch herum auf die andere Seite hangeln muss. Mehr als diese zwei Meter sich zu bewegen schafft sie schon viele Jahre nicht mehr, aber es fällt ihr zunehmend schwerer. Die Tüte mit Lebensmitteln müssen wir wie immer auspacken, damit sie alles sehen kann. Die Nachbarin von oben wird sich um alles kümmern, trotz ihrer eigenen Krankheit und so, wie sie es schon viele Jahre tut.

Der Abend vergeht mit Gesprächen und an vielen Beispielen erfahren wir, wie die soziale Lage der Menschen immer schräger wird. Während sich Korruption tief verwurzelt hat, verzweifeln andere, die nicht mehr weiter wissen. Erst vor einigen Wochen verteuerten sich Grundnahrungsmittel um zwanzig Prozent. Nicht zu reden von Energiekosten und Treibstoff. Regierungskrisen und Vetternwirtschaft machen selbst Intellektuelle rat- und hoffnungslos. Dann und wann wandert einer hinter Gitter, der es übertrieben hat. Aber die Apparate sind bis in die untersten Ebenen infiziert und man arrangiert sich. Am nächsten Morgen holen wir eine von uns bestellte Torte in einer Konditorei ab. Man bestellt nach Kilogramm und für fünfzehn Personen waren viereinhalb Kilo veranschlagt. Edle Schokoladen wurden verarbeitet und der ebenso daraus hergestellte Guss war mit Erdbeeren und anderen Details kunstvoll dekoriert. Wir bestaunen das Kunstwerk und den Preis, doch für die Kinder in Jimbolia bezahlen wir gern und ab geht die Reise in das dortige Kinderheim. Erst vor wenigen Tagen kam der entscheidende letzte Stempel für die offizielle Akkreditierung der Einrichtung. Piroska ist erleichtert. Lange hat sie gekämpft, nicht ohne unter Tränen ans Aufgeben zu denken. Die Kinder sind ihr wichtig, deren Geschichten und Tragödien sie bis in die Seele berühren. Nicht ohne Grund sind sie hier angekommen, oft benutzt und abgegeben wie alte Strümpfe, die niemandem mehr gefallen. Sie ringt um jedes von ihnen und hat noch einiges behördlich zu regeln. Wo sollten sie sonst hin? Der Staat würde Lösungen finden, aber dann kämen sie in Mühlen, die nicht still stehen und die Seelen der Kinder zwischen den Mahlsteinen gänzlich zerreiben würden. Über einen bemalten Umschlag freuen sich die Kinder besonders. Ein krankes Mädchen aus unserer Region hat ihn für die Kinder extra mitgeschickt. Vom Inhalt will Piroska zu Weihnachten für die Kinder Apfelsinen kaufen. Gleichermaßen bestaunen die Kinder die Weihnachtstollen aus der heimatlichen Bäckerei und versprechen, sie bis dahin nicht anzurühren. Der neue Fußball wird gleich getestet und erschreckt die Gänse. Für das Frühjahr kommen Sämereien, für die Küche Mehl und Öl und für die Kinder Süßigkeiten und ein gesunder Mix an Vitaminen an.

Endlich wird der letzte Karton geöffnet und die Torte erscheint. „Heute ist doch noch gar nicht Weihnachten!“ stellt einer der Jungen fest, während der andere mit dem Messer zum Anschnitt schreitet. Die Überraschung ist groß, ebenso die Stücke, die geschnitten werden. Die Hälfte der Torte bleibt für morgen. Wir übergeben Geld für eine Tür, die noch gewechselt werden muss und verabschieden uns. Dreißig Hände winken bis das Auto verschwindet, viel mehr Grüße begleiten uns nach Deutschland.

Am Abend wartet Anna auf uns. Sie quietscht vor Freude und wir haben Mühe zu atmen als sie uns begrüßt. Sie hat ihr Examen im Lyzeum trotz krankheitsbedingter Fehlstunden erfolgreich absolviert. Jetzt will sie ein Jahr mit der Weiterbildung pausieren, um sich mit Gymnastik und Schwimmen körperlich zu stabilisieren. Man sieht es ihrem Gang an, dass sie in den vergangenen Wochen daran gearbeitet hat. Trotz fehlenden Gefühls in den Beinen kann sie jetzt Fahrrad fahren, erzählt sie stolz. Wir bauen ihr und ihrem Bruder, mit dem sie sich die kleine Wohnung teilt, je einen Schreibtisch auf. Platz gibt es genug. Sie erzählt und wird mit uns in Kontakt über Computerpost bleiben. Wir freuen uns mit und an ihr. Sie kämpft trotz und mit ihren körperlichen Einschränkungen, aber sie gibt nicht auf. Sie sieht nach vorn und nach oben und ist einfach dankbar, auch für unseren Besuch und die Verbindung.

Am Sonntag treffen wir im Gottesdienst viele bekannte Gesichter. Wir sind bei ihnen zu Hause. Die Zeit zu nutzen, die uns geschenkt ist, darüber denken wir im Gottesdienst nach und da entdecken wir, dass uns, trotz der gewaltigen Unterschiede zwischen unseren Ländern, vieles verbindet. Nicht zuletzt ist es die Aufrichtigkeit und Authentizität die uns als Christen, egal welcher Nation und Mentalität, Wege gehen lässt, die manchmal nicht von allen verstanden werden. Für die Anstellung der Sekretärin der Gemeinde und andere Aufgaben, insbesondere an alten Menschen, übergeben wir nach dem Gottesdienst wieder Geld, für das uns herzlich gedankt wird. Am Abend zuvor war das Auto wieder bis zur Decke für die nächsten Stationen gefüllt worden. Nach der Sonntagssuppe verabschieden wir uns für zwei Wochen und fahren in Richtung Hunedoara.

Das Wetter während der Tage in Temeswar weckte in uns oft die Sehnsucht nach den zu Hause gebliebenen T-Shirts und kurzen Hosen. Noch immer scheint die Sonne, während wir an den Bergen von Beton- und Ziegelresten des klein geschredderten Kombinates am Eingang der ehemaligen Industriestadt vorbei fahren. Alexandru Filip ruft uns an und warnt vor großen Löchern in der Straße. Und das war gut so. Die neue Asphaltdecke verführt zum Gas geben. Endlich passiert etwas, denken wir, und merken plötzlich warum uns Alexandru warnte. Mit Mühe umfahren wir die noch viel tiefer liegenden Kanaldeckel, die sorgfältig vom Straßenbelag ausgespart blieben. Im Gegenverkehr passiert das gleiche und damit wird es kompliziert. Aber wir kommen gut durch, auch darum wissend, dass an den Stellen, an denen auf der Straße plötzlich kleine Bäume stehen, kein Deckel mehr auf dem Loch existiert. Alexandru erwartet uns schon hinter der Festung und wir fahren zusammen zur Varga-Familie auf den ehemaligen Schießplatz.

Die Kinder springen, wie immer, aufgeregt hin und her und helfen gern beim Ausladen der Kartons und Taschen. Petre, der Vater, ist erkältet, wie meistens.  Kleidung und Schuhe sind ebenso wichtig wie Seife, Shampoo und natürlich, wie überall, Lebensmittel. Der Karton mit dem darauf gemalten Tannenbaum deutet auf die Süßigkeiten zu Weihnachten, zwei Stollen sind ebenso eingepackt. Maria, die Mutter, bedankt sie für jedes Ding fast einzeln. Sie strahlt beim Erzählen eine Gelassenheit aus, die man ihr mit den acht Kindern einfach glauben muss. Darius war im Sommer krank und musste im Krankenhaus behandelt werden. Nach mehreren Anläufen wurden Darmverschlingungen festgestellt und er wurde operiert. Die Mutter war mit im Krankenhaus und das alles hat ein ziemliches Loch in das nicht vorhandene finanzielle Budget gerissen. Jetzt geht es dem Jungen besser, aber er muss strenge Diät einhalten. Deshalb sind für ihn der Tee und manches andere wichtig, was in den Kartons in der Küche steckt. Wir haben auch für sie einen Umschlag vorbereitet, das Notwendigste wird damit abgedeckt. Sie sind glücklich. Aber auch Freude ist steigerungsfähig. Das bemerken wir, als wir aus der schwarzen Reisetasche eine neue Kettensäge auspacken. Wenige Tage vor der Abreise haben wir sie noch gekauft, wissend um die Situation und den Wunsch der Familie. Die Überraschung war gelungen. Draußen beenden die Kinder das Fußballspiel und winken mit den Eltern unserem Auto nach. Auf dem Dach der Betonbude wackeln die alten Blechplatten im Wind. Ihre Aufgaben bei Regen und Schnee werden sie nur mit Mühe erfüllen.

Bei Alexandru wartet die Familie und hilft beim Ausladen. Sie ist geschrumpft, denn fünf der sieben Kinder sind nach England ausgereist. Monica, die ihr Examen im Lyzeum am Ende des Sommers geschafft hat, bemüht sich dort um einen Platz zum Studium, während die vier Geschwister arbeiten gehen. Die Eltern wissen nicht, ob sie sich freuen oder trauern sollen, aber so ist das hier, sagen sie. Wir besuchen Adriana und Andrei wenige Häuser weiter. Andrei war im Juli unverschuldet in einen schweren Autounfall verwickelt, der ihm das linke Bein aus der Hüfte gerissen hatte. Auch das rechte Bein war über dem Knöchel gebrochen. Die Aussichten waren äußerst trüb. Freunde halfen ihnen, dass die Ärzte ihn aufmerksam behandelten. Jeder weiß, was das bedeutet. Oft ist in so einem Fall der soziale Abstieg unausweichlich vorprogrammiert, oder man wird nur notdürftig behandelt. Einige hundert Euro haben die Untersuchungen und Behandlungen korrekt verlaufen lassen und er steht jetzt wieder auf den Beinen, wenn auch mit Schmerzen und den noch offenen „Hilfen“. Eine Ärztin gab ihm einen Gehbock für einige Wochen, natürlich bedankt man sich mit dem entsprechenden Beutel, den man schon bei der Frage danach in der Hand hält. Durch eine Spende aus der Aktion „Hoffnung für Osteuropa“ können wir Ausstehendes begleichen. Wir hören die Steine plumpsen, sie hatten damit nicht gerechnet. Nach dem Essen und dem Tütenpacken für den Schulbesuch am nächsten Morgen sehen wir uns noch das Auto an, das nur noch Schrott ist. Bis heute haben sie weder von der Polizei noch von irgendeiner Versicherung etwas gehört.

Bei Filips hat man für uns die Betten vorbereitet, noch lange erzählen wir. Alexandru freut sich, uns zwei Wochen begleiten zu können. Er ist dabei sein Wohnzimmer zu renovieren. Den kaputten Holzfußboden ersetzt jetzt ein Estrich und die Hartfaserdecke wurde durch Gipskarton ausgetauscht. Viele Jahre war es im Plan, jetzt realisiert er es. Es freut uns zu sehen, wie sie sich über die ganzen Jahre hindurch entwickelt haben, auch wenn immer etwas dazwischen kam. Sie haben gelernt zu kämpfen und nicht aufzugeben. Kämpfen bedeutet für sie mit einem Zwei-Stunden-Vertrag täglich zwölf Stunden zu arbeiten, oft ohne nennenswerten Lohn. Manchmal reicht es gerade für Brot.

Am Morgen besuchen wir die Schule und den Kindergarten, das hatten wir im Herbst versprochen, als es keine Zeit dafür gab. Die Kinder erzählen von den Ferien. Nur zwei der zwanzig Kleinen waren mit den Eltern im Urlaub. Wir übergeben mit den Überraschungstüten viele Grüße aus unseren Schulen. Spielzeuge und Schulmaterial bleiben ebenso hier. Die Kinder bedanken sich mit einigen Liedern und wir verabschieden uns.

Nach dem Essen bei Filips treffen wir nun auch endlich den Großvater. Er ist von Krankheiten gezeichnet. Seine Lippen sind blutunterlaufen und Probleme mit Hüfte, Bauchspeicheldrüse und Nieren machen ihm schwer zu schaffen. Als er kürzlich beim Arzt war, wurde er von ihm nach Geld gefragt. Da er nichts hatte musste er das Zimmer verlassen, so einfach ist das. Schon in früheren Systemen wurde er misshandelt und verfolgt. Heute wird er nicht einmal untersucht, an eine Behandlung ist nicht zu denken. Er erwartet sein Lebensende, in großem Frieden aber mit vielen Schmerzen, während wir uns Gedanken über so vieles machen, in einem Land, dessen Politiker es anscheinend nicht begreifen wollen, wie ein Sozialsystem nur annähernd gerecht mit denen umgeht, die es bitter nötig haben.

Wir fahren mit Alexandru in Richtung Balanu. Noch immer verwöhnt uns das Wetter und es scheint schön zu bleiben. Nach gut einer Stunde rollen wir in Balanu ein. Schon am Telefon hörten wir, dass man die Kirche größer baut. Was wir jetzt sehen übertrifft alle Erwartungen. Der Rohbau ist fertig und die Männer des Dorfes arbeiten an der Schalung des Ringankers. Das kleine Haus ist nicht nur nach vorn, sondern auch nach oben gewachsen. Seit Jahren waren sie darum bemüht. Jetzt stellen der Bürgermeister und die Kirche der Stadt Hateg Baumaterial zur Verfügung. „Das Dach abzureißen dauerte drei Stunden.“, erklärt uns Angelut mit einem Schmunzeln. Raul und andere Kinder des Dorfes kommen auch, um uns zu begrüßen. Der Hof von Cristina und Angelut hat sich ebenfalls verändert. Ihre Terrasse überdeckt ein Dach und der Hof bekam Beton. Zwar war es bisher trocken geblieben, viel zu trocken, doch wenn es regnete oder nach dem Winter verwandelte sich alles in eine Schlammwüste. Jetzt ist das vorbei und damit wird es im Haus weniger zu reinigen geben. Wir müssen auch hier unsere LKW-Ladung sortieren und beginnen gleich. Dazu kommen die Lebensmittel und manches mehr aus unserem Auto. Während unserer Baubegehung erfahren wir, dass im Obergeschoss, auf Vorschlag des Pastors aus der Stadt, noch zwei Zimmer entstehen. Da er sich um das Baumaterial kümmert und das auch bezahlt, steht dem nichts im Wege. Wir hatten am Telefon versprochen, uns um die Elektroinstallation zu kümmern und das besprechen wir gleich. Noch bis spät in die Dunkelheit gießen die Männer den Betonanker. Emi und andere, mit denen wir noch vor wenigen Jahren spielten, ziehen die schwere Schubkarre bis in den Bau oder geben die Eimer mit nach oben.

Am nächsten Morgen treffen wir den Pastor. Er fragt nach dem Bau und nach Material, der Sand ist alle. Er begrüßt uns und freut sich über unsere Hilfe. Nein, mit Litze installieren wir nicht, er scheint das nicht zu glauben. Wir versprechen, dass am Nachmittag das Licht funktioniert und wir fertig sind. Er glaubt es nicht. Zwischendurch versammeln sich Leute im Dorf zu einer Beerdigung. Wir kannten den alten Mann gut. Noch im Frühjahr erzählte er uns von sich, wie er am Sägegatter gearbeitet hatte. Er hatte viele Beschwerden. Vor drei Tagen verstarb er und war bis heute in einem Zimmer des kleinen Hauses aufgebahrt. Der Gottesdienst im Hof dauert eine gute Stunde. Dann begibt sich der Zug mit dem Sag auf dem klapprigen Autoanhänger ins nächste Dorf zum Friedhof. Bei uns geht es mit Steckdosen und Kabeln weiter. Alexandru gehört in die Brigade, jeder weiß, was er zu tun hat. Jahrelange Übung macht viele Worte überflüssig. Als der Pastor kommt schalten wir das Licht ein.

Der Hausanschluss wird noch umgesetzt, dazu hat er einen Mann mitgebracht und in länderübergreifender Zusammenarbeit geht auch das zügig voran. In Balanu kommt die Nacht schnell, da die Sonne nicht allzu lange Zeit über dem Tal steht. Medikamente und Lebensmittel werden einsortiert, ein großes ehemaliges Regal einer Klosterküche war nach Jahren jetzt mit dem LKW gekommen, wir bauen es auf dem Boden des Hauses auf. Vieles lässt sich jetzt griffbereit einsortieren. Ständig kommt jemand aus dem Dorf, der Milchpulver, etwas Zucker, eine Kerze, eine Tablette oder sonst etwas braucht.

Am nächsten Morgen bekommen der Keller unter der Kirche und die Toilette dahinter noch Licht und nach dem Mittag fahren wir ins Nachbardorf. Im Frühjahr hatten wir einen Mann besucht, dessen Lebensumfeld nur schwer erträglich anzusehen war. Es gab schon damals kein Licht im Haus. Das steht jetzt auf dem Programm. Er kommt raus und wir gehen rein, aber sehr langsam. Für sensible Gemüter ist das jetzt nichts. Eigentlich besteht das Innere des Hauses nur noch aus einem einzigen Berg Müll. Geistig und körperlich krank, freut sich der Besitzer auf die Aussicht, Licht zu bekommen. Der gesundheitliche Zustand des ehemaligen Buchhalters einer größeren Firma ist die Folge von drei Unfällen mit Autos, gepaart mit dem sozialen Absturz ins Nichts. Kein soziales Netz fängt nur das Mindeste auf, weil es für solche Menschen nicht existiert. So schwarz wie das Loch, in das er gefallen ist, ist auch das Innere der Hütte, ein Spiegel seiner Situation. Der Rauch des kaputten Ofens hat über Jahre die Bretterdecke mit einer Teerschicht überzogen, das Holz ist so wenigstens oberflächlich in Ordnung. Wer die Deckenleitung zur Lampe annagelt, wird während der Arbeit von sich bewegenden kleinen schwarzen Bewohnern des Dachbodens befreit, die während des Nagelns herunter rieseln. Der Mann hockt währenddessen, wie so oft, draußen auf einem Holzklotz und erzählt mit Cristinas Vater. Auch heute erhält er eine Tüte Lebensmittel. Lange dauert unsere Arbeit nicht. Alle alten Kabel sind abgeschnitten und er staunt über den neuen Schalter und die Steckdose. Viel heller wird es nicht, als wir einschalten, aber doch erkennt man die hohen Stapel uralter Zeitungen, die wahrscheinlich aus seinen Berufsjahren stammen. Das Knistern in allen Ecken macht deutlich, dass er nicht ganz allein im Haus wohnt, von den „Obermietern“ abgesehen. Der Fußboden existiert auch fast gar nicht mehr. Die einzigen Farbtupfer sind die wunden, infizierten Zehen mit den eingewachsenen Nägeln, die vorn aus den kaputten Schuhen ans Licht kommen. Herzlich bedankt er sich und verschwindet mit dem erst wenige Wochen alten Hund, den er aus der alten Kiste in Hof befreit, im Haus.

Wir schlucken mehrmals kräftig und besuchen unsere Freundin Victoria. Im Frühjahr saß die taubstumme kleine Frau noch im Hof in einem Sessel, da ihr ein Bein amputiert werden musste. Heute gehen wir zum Friedhof. Vor einigen Wochen verstarb sie plötzlich, ohne jede Schmerzen. Noch zwei Tage vor ihrem Tod hat sie Cristina zu sich rufen lassen und mit gewohnten Gesten gefragt, wann denn der mit dem Bart wiederkommt. Ihre Zeit zu gehen kam schneller als wir. Gern erinnern wir uns an sie, sie fehlt im Dorf.

Die Tage vergehen mit vielen Handgriffen und Gesprächen, dem Besuch eines Mädchens im Krankenhaus in Hunedoara, wir sehen nach den Kindern im Kindergarten und der Schule und erzählen mit den Leuten. Cristina und Angelut wollen im Frühjahr ihre Schulabschlüsse erledigen, sie die zwölfte und er die zehnte Klasse. Mit fünf weiteren Erwachsenen hoffen sie durchzuhalten. Die hohen Kraftstoffpreise für zwei Autos sind trotz Arbeit in Deutschland nicht aufzufangen. Täglich kostet sie die Fahrt zur Schule zehn Euro. Eine extra dafür bestimmte Spende wird entscheidend helfen, es zu schaffen. Nebenbei läuft die Sozialküche jetzt wieder regelmäßig an, die Kirche wird gebaut, alte Leute werden versorgt, die Kinder befinden sich alle in der Ausbildung, ein Programm das nur sehr wenig Spielraum zulässt. Die Preissteigerungen stoppen auch vor diesem Dorf nicht, aus dem nur drei eine Arbeit haben, selbst wenn sie kaum bezahlt wird. Wir übergeben Geld für Schulbrote für dreizehn Kinder, den Verein, für Feuerholz und medizinische Notfälle. Dabei wissen wir um die vielen Helferinnen und Helfer zu Hause, die diese Unterstützung gewährleisten. Uns wird immer und überall gedankt, für alle und für alles. Immer wieder staunen wir und sind selbst überrascht, dass unsere Hilfen möglich sind. Gleichzeitig sind sie bei den Empfängern Ansporn, gerade auch in Balanu, nicht aufzugeben und sich nach rechts und links zu wenden, um anderen zu helfen. Dank mehrerer größeren Beträge können wir zusätzlich Geld für einen Waisenjungen und für eine junge, mittellose Frau mit Kind für Feuerholz weiterreichen. Angelut hat im Sommer das Haus fertig geputzt. Als letzten Akt bringen wir noch die Hausnummer an, die Nummer 63, gleichsam symbolisch. Nicht allen im Land können wir helfen, das ist klar. Aber für uns haben alle, die wir kennen und lieben lernten, eine feste Adresse. Wir fahren nicht ohne Ziel und geben nicht anonym. Jeder hat seine eigene Adresse und wir freuen uns, dass viele Mitstreiter zu Hause diese Adressaten ebenso kennen und Hilfe zukommen lassen, jeder nach seinen Möglichkeiten. Fahrräder für Kinder und Erwachsene, Betten, Schränke und manches mehr wurde zusammengebaut und hergerichtet, als wir uns am Freitagnachmittag verabschieden. Cristina und mit ihr viele wissen sich getragen, deshalb können sie weitergehen.

Wir schlafen noch eine Nacht bei Filips in Hunedoara und brechen am nächsten Morgen sehr zeitig auf. Vor uns liegen 540 Kilometer und das Ziel heißt Buda, ein kleines Dorf im Länderdreieck zur Ukraine und Moldawien. Alexandru begleitet uns auch dorthin. Seine Frau stammt genau aus der Gegend, 25 Jahre sind seit seinem letzten Besuch dort vergangen. Bei herrlichem Herbstwetter durchqueren wir das Land in Richtung Nordosten und erreichen die Stadt Suceava. Der Feierabendverkehr ist mühsam, aber nach einer halben Stunde nimmt uns Ghiorghe herzlich in Empfang, den wir in Deutschland kennen lernten. Er steht einem Verein vor, der sich ebenso um sozial Benachteiligte kümmert und das interessiert uns. Noch am Sonntag fährt er mit uns eine Runde durch die Gegend und erzählt. Drei Arbeitgeber gibt es: Kommunalverwaltung, ein kleines Krankenhaus und die Bäckerei seines Sohnes. Er hat Wald, etwas Landwirtschaft, eine Maismühle und Obstbäume. Das Gebiet ist ca. 40 Kilometer im Durchmesser und die Arbeitslosigkeit ist immens. Diejenigen, die ein Stück Feld bewirtschaften können, versuchen davon zu leben. Eine Frau, die in der Stadt als Schneiderin angestellt ist, benötigt fast den ganzen Lohn für die Fahrtkosten, sie arbeitet eigentlich nur für einen Rentenanspruch. Was mit den neu gebauten Häusern ist oder mit denen, die als Baustellen verwaist scheinen, wollen wir wissen. Fast alle Besitzer arbeiten über Jahre im Ausland und bauen sich vom Verdienst den Alterswohnsitz, erfahren wir. Es ist eine trostlose Gegend, die in Richtung Ukraine noch verlassener scheint.

Zwei Tage nutzen wir aber doch, um die berühmten Klöster der Bukowina zu besuchen. Die teilweise 500 Jahre alten Farben der Fresken außerhalb und innerhalb den Klosterkirchen strahlen trotz des nun einsetzenden Regens. Sie erzählen Geschichten und Geschichte, biblische und weltliche. Wir genießen das Alleinsein, die Ruhe und staunen. Zwischendurch klart es auf und die Bilderbuchlandschaft der Karpatenwelt lässt uns aufatmen. Trotzdem kehren unsere Gedanken und Gespräche zurück zu den Menschen, die es nicht schaffen, solches 50 Kilometer entfernt, ungetrübt zu genießen.

Am letzten Tag packen wir mit Ghiorghe zwei Transporter voll mit Lebensmitteln und Kleidung, um es zu verteilen. Wir wollen mit den Leuten reden. Wir besuchen die alte Dame, über die 90 Jahre ist sie hinaus, sie weiß nicht mehr wie alt sie ist. Zum Schlafen muss sie auf den alten Ofen klettern. Dort auf dem Brettern und der Decke ist es noch etwas warm. Die dicken Gläser ihrer Brille machen die Augen viel zu groß für den kleinen Kopf, in den Händen hält sie einige welke Gräser. Sie ist allein. Mitten im Feld lebt ein Mann in einer Hütte ohne Strom und Wasser. Doch, Wasser hat er, aber es tropft durchs Dach, auf dem noch die Reste alter Dachpappe im Wind flattern. Auch er hat niemanden mehr. Wir besuchen eine geistig behinderte Frau. Sie sitzt im Bett und wippt, ins Nachthemd gehüllt, hin und her. Die beiden erwachsenen Kinder sind ebenfalls behindert und die Tochter hat wieder Kinder. Hier bedeutet Besitz ein Bett für jede der Familien, in einem Raum von fünfzehn Quadratmetern. Alles zu berichten würde den Rahmen sprengen. Es gibt Brotpatenschaften in Deutschland, die ein Minimum an Essen garantieren. „Wenn Du jung und gesund bist mag es gehen, aber wehe, wenn du alt wirst oder krank, von Behinderungen nicht zu reden.“, hören wir Ghiorghe sagen, der heute seinen Geburtstag auf diese Art verbringt. Das, was uns in Balanu an Not und Elend in einem Dorf begegnet ist, das ist hier auf der Fläche verteilt - wir sehen viele Parallelen.

Einer Familie mit elf Kindern, die sich einen Brunnen gebaut haben und davon noch auf einem Berg Schulden sitzen, verschaffen wir ruhige Nächte, wir begleichen die Summe. Etwas wollten wir auch bewirken, sie hatten damit nicht gerechnet und die Freude ist groß. Alexandru muss eher abreisen, dem Schwiegervater geht es schlechter.

Wir treten die Rückreise nach Temeswar an, durchqueren noch einmal die Karpaten in westlicher Richtung und kommen nach gut zwölf Stunden wieder in Temeswar an. Unser Blick hat sich geweitet, aber leider konnten wir nirgendwo eine staatlich programmierte Veränderung im Sozialbereich erkennen. Was Hilfsprojekte ausrichten, wird deutlich und das ermutigt uns. Unsere Bemühungen zielen nicht darauf, das Land zu verändern, sondern einigen Menschen zu helfen, die sonst in dem Sumpf, in dem sie stecken, ersticken würden. Viele frohe und dankbare Gesichter haben uns angesehen, warme Hände haben uns gedrückt und gebeten, ihren Dank weiter zu geben. Immer wieder überrascht uns die Herzlichkeit, die uns begegnet - nicht wegen der Pakete, sondern weil die Menschen so sind. Der Glauben hilft ihnen, nicht aufzugeben. Und dann kommen die Überraschungen, dass sich Menschen begegnen, die nicht voneinander wussten und sich dann kurzfristig vieles verändert. Oft haben wir das erlebt, jetzt wieder ganz neu bei der Familie mit elf Kindern und dem Brunnen. Manches scheint immer wie geplant, ohne dass wir davon wussten.

Ein letztes Essen am letzten Abend mit den Presbytern bei Familie Kovacs beschließt unsere Zeit in Rumänien. Wir fahren zurück, zum 30. Mal. Unsere Gedanken gehen an alle Orte und zu allen Menschen zurück, die wir trafen. Gern erinnern wir uns und geben den Gedanken Raum. Dabei entdecken wir uns selber schon wieder bei den Vorbereitungen für die nächste Fahrt. Wer braucht was…wie macht man das…wäre das so besser oder anders…wie wird es werden? Nicht nur unsere Freunde sind in ihrem Glauben gestärkt, wenn wir fahren.

Zu Hause angekommen liegen 5000 Kilometer hinter uns. Wir haben eine Aufgabe übernommen (bekommen), die uns bestärkt, weiterzugehen. Vieles würde stecken bleiben, wer will das? Im Namen aller Freunde danken wir Ihnen von Herzen, den Firmen, Familien oder einzelnen Personen, die Sie geholfen und uns in Gedanken und mit Gebeten begleitet haben. Zu Hause angekommen, klingelt das Telefon: „Wir haben da noch…“ Und das ist gut so. Wir haben Reserven und wollen damit helfen. Nicht auf die Größe kommt es an, sondern auf das Herz. Wie geht es weiter, fragen wir manchmal. Lassen wir uns alle zusammen überraschen.

 

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